Pestizidfreie Landwirtschaft

Für die Landwirtschaft ist eine intakte Umwelt Voraussetzung, um auch in Zukunft ausreichend Lebensmittel produzieren und Versorgungssicherheit gewährleisten zu können. Der noch immer viel zu hohe Einsatz von synthetischen Pestiziden gefährdet die Biodiversität und die langfristige Bodenfruchtbarkeit. Es braucht darum einen Systemwechsel hin zu einer pestizidfreien Produktion.

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Die Schweiz gehört zu den Ländern mit einem besonders hohen Pestizidverbrauch. Im Jahr 2021 wurden 2259 Tonnen Pestizide eingesetzt. Schätzungsweise 85 bis 90 Prozent der eingesetzten Menge geht auf die Landwirtschaft zurück. Am höchsten ist der Pestizideinsatz beim Anbau von Obst, Reben, Kartoffeln, Zuckerrüben und verschiedenen Gemüsesorten. Pestizidrückstände und ihre Abbauprodukte finden sich im Boden, in Fliessgewässern, im Grundwasser und sogar in Produkten oder im Trinkwasser. Die gesetzlichen Anforderungswerte werden in fast allen bisher genauer untersuchten Oberflächengewässern in der Schweiz seit Langem in hohem Mass überschritten. Auch die Belastung im Grundwasser ist in diversen landwirtschaftlich intensiv genutzten Regionen im Schweizer Mittelland zu hoch. Bereits 2005 lautete das agrarpolitische Etappenziel, den Pflanzenschutzmittelverbrauch auf 1500 Tonnen jährlich zu senken. Die bisherigen Anstrengungen, den Pestizideinsatz wesentlich zu senken und mittelfristig zu eliminieren, wurden bisher aber nicht erreicht.

Trotz immer präziseren Spritzdüsen gelangen Pestizide durch Abdrift, Abschwemmung und Versickerung in die Umwelt. Pestizide belasten dabei die gesamte Umwelt und unterscheiden nicht zwischen Schädlingen und Nützlingen. Sie schädigen dadurch eine Vielzahl von Tier- und Pflanzenarten und sind in hohem Grad für den Rückgang der Artenvielfalt, insbesondere von Insekten, Vögeln und Wasserlebewesen, verantwortlich. Beispielsweise stehen bestimmte Pestizide wie Neonicotinoide im Verdacht, einer der Hauptgründe für das Bienensterben zu sein. Diverse wissenschaftliche Studien belegen einen Zusammenhang zwischen Pestizideinsatz und der Menge und Vielfalt von Bodenlebewesen wie Würmer, Pilze und Bakterien. Das gesunde Gleichgewicht im Boden wird durch Pestizide gestört. Ein gesunder, biologisch bewirtschafteter Boden mit vielen unterschiedlichen Bodenorganismen ist hingegen weniger erosionsanfällig und widerstandsfähiger. Er kann mehr Kohlenstoff und Wasser aufnehmen, was C02 bindet und somit dem Klima hilft, und bei Dürre oder Starkniederschlägen regulierend wirkt.

Bei der Zulassung von Pestiziden durch die Behörden wird ihre Toxizität an ausgewählten Organismen geprüft, nicht aber der sogenannte Cocktail-Effekt von verschiedenen Wirkstoffen oder die Wechselwirkungen mit anderen Stressfaktoren. Für die meisten Pestizide gibt es ausserdem wenig oder keine Langzeitstudien. Solange diese Daten nicht vorliegen, sind auch die Risiken für die menschliche Gesundheit kaum absehbar. Die Schädlichkeit von Pestiziden wird meist erst im Nachhinein erkannt. Trotz massiven Widerstands der Herstellerfirmen mussten somit laufend Pestizidwirkstoffe nach langer Zeit der Anwendung wieder vom Markt genommen werden. Ein erhöhtes gesundheitliches Risiko gehen Landwirtinnen und Hobbygärtner ein, die regelmässig Pestizide anwenden. Obwohl die Datenlage auch hier noch sehr dünn ist, legen verschiedene Untersuchungen nahe, dass das Risiko für Menschen, die regelmässig direkt mit Pestiziden in Kontakt kommen, für verschiedene Krebsarten oder Parkinson erhöht ist.

Hohe Folgekosten
Die Folgekosten dieser bekannten und noch unbekannten negativen Auswirkungen des hohen Pestizideinsatzes (Trinkwasser-Aufbereitung, Gesundheitskosten, Verlust der Biodiversität etc.) werden aktuell auf die Allgemeinheit abgewälzt. Dass die industrielle, auf Chemie basierende Landwirtschaft längerfristig in eine Sackgasse führt, bezeugen überdies diverse resistente Unkräuter, Insekten oder Pilze, bei denen Herbizide, Insektizide oder Fungizide nicht mehr nützen und immer neue Wirkstoffe erfordern. Zur Bewahrung der für die Landwirtschaft notwendigen Biodiversität und langfristig gesunden und ertragreichen Böden braucht es deshalb einen Paradigmenwechsel hin zu einer pestizidfreien Produktion.

Auch im Biolandbau werden in gewissen Fällen Pestizide eingesetzt. Sie sind jedoch natürlichen Ursprungs und sie bauen sich rasch ab in der Natur. Eine Ausnahme ist Kupfer, das nicht abgebaut wird, sondern sich im Boden anreichert und deshalb in hohen Dosen ebenfalls problematisch ist. Weitere Beispiele für im Biolandbau zugelassene Pflanzenschutzmittel sind Tonerde, Schwefel, Schmierseife, Pflanzenextrakte oder Mikroorganismen. Auch natürliche Mittel können negative Auswirkungen auf die Umwelt haben. Diese stehen jedoch in keinem Verhältnis zu den schwerwiegenden Umweltproblemen, die durch chemisch-synthetische Pestizide verursacht werden.

Rund ein Drittel der in der Schweiz verkauften Menge an Pflanzenschutzmitteln sind für den Biolandbau zugelassen. Diese Tatsache wird von Befürwortern chemisch-synthetischer Pflanzenschutzmittel manchmal irreführend benutzt, um zu behaupten, dass die Biolandwirtschaft genauso viele Pestizide einsetzt wie die konventionelle. Richtig ist, dass Substanzen, die im Biolandbau verwendet werden, auch vermehrt in der konventionellen Landwirtschaft zum Einsatz kommen. Im Vergleich sind im Biolandbau jedoch kleinere Mengen zugelassen. Bei Kupfer, einem der problematischsten Stoffe bei den natürlichen Pestiziden, werden über 90% der in der Schweiz verwendeten Menge bei konventionellen Kulturen ausgebracht. Die Forschung und Entwicklung geht im Biolandbau zunehmend in Richtung einer ganzheitlichen Handhabung der Systeme. Eine weitere Kupferreduktion und längerfristiger Ausstieg wurde klar als Ziel definiert.

Eine Landwirtschaft ohne chemisch-synthetische Pestizide bewährt sich, sowohl für kleine wie für grosse Betriebe. Mittels gesamtbetrieblicher Systeme ist eine pestizidfreie Produktion umsetzbar. Zahlreiche Bäuerinnen und Bauern zeigen das seit Jahren. Grundlage für eine ökologische Bewirtschaftung ist eine vielfältige Landwirtschaft. Diese wirkt vorbeugend und stärkt das Gleichgewicht zwischen sogenannten Schädlingen und Nützlingen. Zur Anwendung kommen unter anderem ökologische Anbaumethoden und die entsprechende Pflanzenzucht von resistenten Sorten, eine ausgeglichene, vielfältige Fruchtfolge sowie die standortgerechte Sortenwahl und Züchtung. Weiter helfen moderne Geräte für die mechanischen Unkrautregulierung und die Förderung von Biodiversität und Nützlingen z.B. durch Blühstreifen.

Entscheidend für die Umsetzung einer pestizidfreien Produktion sind die Bäuerinnen und Bauern. Sie setzen sich schon heute immer zahlreicher und mit grossem Engagement für eine ökologische und pestizidfreie Bewirtschaftung ein. Unterstützend braucht es dazu eine praxisorientierte Forschung und Wissenschaft. Bisher fliesst erst ein kleiner Teil der Forschungsgelder in die Biolandwirtschaft oder die Agrarökologie.

Nur wenn wir pestizidfrei produzieren, bleiben unsere Böden, unser Wasser, unsere für die Produktion notwendige Biodiversität und unsere gesamte Umwelt gesund, um sowohl heute wie auch in Zukunft genügend Lebensmittel zu produzieren. Die ökologische Landwirtschaft kann uns alle ernähren. Gemäss einer Agroscope- und FiBL-Langzeitstudie werden in gemässigten Klimazonen wie der Schweiz im Biolandbau heute im Durchschnitt zwar zwanzig Prozent geringere Erträge erzielt als mit dem Einsatz von synthetischen Pestiziden. Diese Zahl ist jedoch eine Momentaufnahme. Die pestizidfreie Landwirtschaft profitierte bereits in den letzten Jahren und Jahrzehnten von den grossen Fortschritten bei der Bewirtschaftung, etwa bei der technologischen Entwicklung oder der Züchtung resistenter Sorten. Wird diese praktische Forschung weiterhin konsequent gefördert, werden diese Fortschritte weiter beschleunigt. Bei gleichzeitiger Reduktion der Lebensmittelverschwendung – heute wird ein Drittel aller Lebensmittel weggeworfen – würde der Selbstversorgungsgrad der Schweiz deshalb auch bei einer pestizidfreien Produktion nicht sinken.

Heute sind pestizidfrei produzierte Lebensmittel teurer als jene, die mit synthetischen Pestiziden produziert wurden. Längerfristig wird das Gegenteil der Fall sein. Die heutige Preisdifferenz hat verschiedene Gründe: Zum einen fehlt Kostenwahrheit. Sämtliche Folgekosten, welche eine auf Pestiziden basierte Landwirtschaft in der Umwelt, Wirtschaft und Gesundheit der Bevölkerung verursacht, finden aktuell keine Berücksichtigung im Preis. Zum anderen schlägt der Handel auf ökologisch produzierte Lebensmittel eine grössere Gewinnmarge als auf das Basissortiment. Diese höheren Margen bestrafen heute umweltbewusste Konsumentinnen und Konsumenten, verzerren den Markt und stehen somit der Weiterentwicklung einer ökologischeren Landwirtschaft im Wege. Aufgrund der noch fehlenden konsequenten Förderung führt die Produktion ohne synthetische Pestizide zudem derzeit noch zu höheren Kosten bei den Bäuerinnen und Bauern.

Durch gezielte Forschung und Innovationen in der Praxis wird die pestizidfreie Produktion in Zukunft jedoch zeitsparender, ertragsreicher und damit auch kostengünstiger. Für die Umsetzung der Kostenwahrheit wäre die Politik zuständig. Wir könnten es uns als Gesellschaft problemlos leisten, einen angemessenen Preis für nachhaltig produzierte Lebensmittel zu bezahlen. Welchen Anteil dabei die Konsumentinnen und Konsumenten an der Ladenkasse bezahlen, ist politische Verhandlungssache. Schon heute greift der Staat in den Lebensmittelmarkt ein, z.B. in Form von subventionierter Werbung oder Preissteuerung durch Zölle. Diese politischen Leitplanken könnten schon heute konsequent in eine nachhaltigere Richtung gelenkt werden, sodass pestizidfrei produzierte Lebensmittel tatsächlich endlich für alle erschwinglich sind.

Im Juni 2021 hat die Schweizer Stimmbevölkerung über die Trinkwasser- und die Pestizidinitiative abgestimmt. Beide Volksinitiativen hatten den Pestizidausstieg resp. die Pestizidreduktion zum Ziel. Die Kleinbauern-Vereinigung bevorzugte den konsequenteren Umsetzungsweg der Initiative «Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide» und lancierte eine eigene Ja-Kampagne. Diese Initiative forderte ein Verbot von synthetischen Pestiziden bei der Lebensmittelproduktion, der Anwendung seitens der öffentlichen Hand sowie im gewerblichen und privaten Gartenbau. Der Import von Lebensmitteln, die synthetische Pestizide enthalten oder mit solchen hergestellt wurden, hätte ebenfalls verboten werden sollen. Als Umsetzungsfrist waren zehn Jahre vorgesehen.

Die Initiative erreichte 40% Ja-Stimmen und konnte dank der breiten öffentlichen Diskussion viel bewegen (Medienmitteilung der Kleinbauern-Vereinigung zum Abstimmungsresultat und Ausblick). Der Handlungsbedarf in der Pestizidproblematik wurde erkannt und das gemeinsame Ziel einer ökologischeren Landwirtschaft war auch bei den Gegnern der Initiative unbestritten. Uneinig war man sich einzig über den Weg zu diesem Ziel und den Zeitrahmen.

Parallel zur Abstimmung über die Pestizid- und Trinkwasserinitiative hat der Bundesrat 2021 einen «Massnahmenplan Sauberes Wasser» verabschiedet. Damit sollen das Risiko des Pestizideinsatzes bis 2027 halbiert sowie die Nährstoffbelastung der Böden und Gewässer vermindert werden. Die im Verordnungspaket enthaltenen Massnahmen anerkennen zwar den Handlungsbedarf in der Pestizid- und Nährstoffproblematik und leiten erste Schritte in Richtung einer Verbesserung ein. Sie gehen aber klar zu wenig weit. Die Kleinbauern-Vereinigung wird sich weiterhin für eine konsequentere Agrarpolitik einsetzen, die insbesondere auch diejenigen Betriebe von weiterem administrativem Aufwand befreit, welche bereits heute mehr für eine umweltschonende Landwirtschaft tun.

Eine stärkere Förderung von Gesamtbetriebssystemen (Bio, IP) sowie Lenkungsabgaben auf Pestizide wären effektive Instrumente, die rasch zu einer Reduktion des Pestizideinsatzes führen würden. Bereits 2016 zeigte Vision Landwirtschaft in ihrem Pestizidreduktionsplan, hinter dem auch die Kleinbauern-Vereinigung steht, auf: Unter Ausschöpfung von einfach realisierbaren und wirtschaftlich tragbaren Massnahmen lässt sich der Pestizideinsatz in der Schweizer Landwirtschaft bereits heute um 40-50% reduzieren, ohne dass das Produktionsniveau zurückgeht. Im Siedlungs- und Verkehrsbereich liegt das Reduktionspotential sogar bei 80%.

Der Handlungsbedarf geht aber über die Agrarpolitik hinaus. Auch die Ausbildung und Beratung in der Landwirtschaft muss ökologischer ausgerichtet werden. Gleichzeitig braucht es mehr denn je eine ganzheitliche Ernährungspolitik. Neben Kostenwahrheit ist die Politik auch gefordert, die Verfügbarkeit von ökologisch produzierten Produkten sicherzustellen, etwa mit der Förderung des Angebots an Bioprodukten in der öffentlichen Gemeinschaftsverpflegung. Weitere Handlungsfelder finden sich in der Förderung des Biolandbaus auf kantonaler oder Gemeindeebene (zum Artikel «Das Puschlav zeigt, was möglich ist»). Ausserdem wird sich die Kleinbauern-Vereinigung weiterhin mittels Sensibilisierungsarbeit, beispielsweise mit der jährlich stattfindenden Pestizidfrei-Aktionswoche, für einen Richtungswechsel hin zu einer Landwirtschaft ohne synthetische Pestizide einsetzen.