Das Projekt Obstgarten Farnsberg von BirdLife Schweiz feiert dieses Jahr das 20-jährige Jubiläum. Gemeinsam mit der Landwirtschaft entstand ein nationales Vorzeigeprojekt. Drei Faktoren sind entscheidend für das erfolgreiche Zusammenspiel von Biodiversität und Landwirtschaft.
Wertvoller Lebensraum dank einer mosaikartigen Kulturlandschaft mit zahlreichen Bäumen, Hecken und offenen Bodenstreifen.
«Die schönste Jahreszeit am Farnsberg ist die Chirsi-Bluescht!» Darüber sind sich hier alle einig, vom Landwirt über den Naturschützer bis zur Gemeinderätin. Die Region oberhalb von Gelterkinden (BL) ist geprägt von mächtigen Hochstammbäumen. Die einheimische, ländliche Bevölkerung ist stolz auf diese traditionelle Kulturlandschaft. Über die sanften Hügelzüge wechseln sich kleinere Wälder mit Weiden und Obstgärten ab. Der Farnsberg, auf dem die Ruine Farnsburg thront, umfasst die sechs Gemeinden Buus, Hemmiken, Rickenbach, Ormalingen, Gelterkinden und Rothenfluh. «Was mich an der ersten Beratung überzeugt hat, ist die Landschaftsbeschreibung aus Sicht des Vogels», so Christian Weber an der grossen Jubiläumsfeier auf dem Hofgut Farnsburg Ende April 2024. Dieser sei auf vielfältige Strukturen und eine mosaikartige Kulturlandschaft angewiesen, erklärte der Pionier-Landwirt den zahlreichen Gästen. Der engagierte Betriebsleiter vom Hof Baregg ist seit 2004 eines der Zugpferde im Projekt Obstgarten Farnsberg. So erstaunt es kaum, dass auf seinen extensiv bewirtschafteten Flächen zahlreiche Zielarten des Projekts wie der Neuntöter, Gartenrotschwanz und die Zauneidechse einen Lebensraum finden.
Auf Augenhöhe mit den Landwirten
Auslöser des Projekts war allerdings eine andere Vogelart. Der Rotkopfwürger brütete damals in der Schweiz nur noch in der Region Farnsberg. Unzählige Stunden am Küchentisch habe man in dieser Anfangsphase mit den Landwirten und deren Familien verbracht, um ihr Vertrauen zu gewinnen, erzählt Martin Blattner vom Naturschutzverein Ormalingen in seiner lebhaften Jubiläumsansprache. So konnten nebst Christian Weber fünf weitere Landwirte im Projektperimeter motiviert werden, erste Aufwertungsmassnahmen wie Kleinstrukturen und Pflanzungen junger Hochstammbäume auf ihren Flächen umzusetzen. Trotz dieser grossen Anstrengungen kam das Projekt für den Erhalt des Rotkopfwürgers zu spät. Die letzte Brut wurde 2009 am Farnsberg entdeckt, seither ist der Rotkopfwürger in der Schweiz faktisch ausgestorben.
Das aufgebaute Vertrauen zwischen Naturschützern und Landwirten stellte trotz dieses Misserfolgs die Basis für die Weiterführung des Projekts dar. Die Ziele wurden auf Vogelarten wie Neuntöter, Wendehals und Gartenrotschwanz ausgeweitet, die auf den Lebensraum Obstgarten spezialisiert sind. Für die Umsetzung wurde ein ganzheitlicher Ansatz gewählt, in dem nicht nur ökologische Hotspots, sondern auch Vernetzungsflächen und Trittsteine eine wichtige Rolle spielen. Dabei hiess das Credo von Beginn an: Zusammenarbeit mit den Bäuerinnen und Bauern auf Augenhöhe. Schliesslich müssen diese die Massnahmen in ihr Betriebskonzept integrieren, damit die Hecken, Hochstammbäume und Strukturen langfristig erhalten und gepflegt werden. So war für BirdLife Schweiz klar, dass in der Leitungsgruppe nicht nur die lokalen Naturschutzvereine, sondern auch die beteiligten Betriebe eingebunden sein müssen. Mit Erfolg: Durch integrative Persönlichkeiten wie Christian Weber erlangten BirdLife und das Projekt Obstgarten Farnsberg den Ruf als verlässliche Partner für die Landwirtschaft in der Region.
Praxisnahe Beratung und Innovation am Farnsberg
Ein weiterer Schlüssel zum Erfolg, der sowohl von Landwirtschafts- als auch von Naturschutzkreisen betont wird, ist die gesamtbetriebliche Beratung. Wer nach den Anfängen des Projekts recherchiert, kommt am Namen Willy Schmid nicht vorbei. Dieser von allen Seiten geschätzte Berater und Mitgründer von Agrofutura hatte nicht nur ein grosses Fachwissen in den beiden Disziplinen Agronomie und Ökologie, sondern auch einen guten Draht zu den Landwirten. So konnte er sie motivieren, innovative Massnahmen wie den offenen Bodenstreifen umzusetzen, die in der Landwirtschaft höchst unüblich sind. Die Grundlage für solche Pionier-Massnahmen lieferten Studierende von Fachhochschulen und Universitäten. Im Fall des offenen Bodenstreifens untersuchte ein ZHAW-Student im Rahmen seiner Bachelorarbeit das Nahrungsverhalten des Neuntöters. Das Resultat dieser Feldforschung am Farnsberg war, dass Neuntöter stark von dieser Massnahme profitieren, wenn sich der offene Boden direkt neben einer Hecke mit Saum befindet. Der Insektenfresser kann nämlich seine Beute von der Hecke aus erspähen und erfolgreich auf dem offenen Boden erlegen, wo sie im Gegensatz zum hohen Gras wie auf dem Serviertablett ausgestellt ist. Die Insekten wiederum profitieren vom angrenzenden Saum als Lebensraum und Rückzugsort. Mit diesen wissenschaftlichen Erkenntnissen gelang es BirdLife, das Ebenrain-Zentrum (kantonales Amt für Landwirtschaft, BL) vom Nutzen dieser ungewöhnlichen Massnahme zu überzeugen. Heute werden am Farnsberg entwickelte Massnahmen wie der offene Bodenstreifen und die Grossstruktur von mehreren Kantonen als regionsspezifische Biodiversitätsförderung finanziell unterstützt.
Leuchtturm-Projekt mit nationaler Ausstrahlung
Mit innovativen Massnahmen und der geschickten Kombination vielfältiger Strukturen gelang BirdLife und den beteiligten Partnern die Trendumkehr. Seit 2008 hat sich der Neuntöter-Bestand am Farnsberg von 6 auf 21 Brutpaare mehr als verdreifacht, derweil er in der Gesamtschweiz rückläufig war. Weitere Zielarten wie der Gartenrotschwanz konnten zumindest in ihrem Bestand erhalten werden. Mit etwas Glück können aufmerksame Beobachterinnen am Farnsberg zahlreiche seltene Vogelarten auf dem Zug wie Bienenfresser oder Wiedehopf entdecken. Darauf sind nicht nur die lokalen Naturschutzvereine stolz. Auch Bäuerinnen und Bauern, die nicht im Projekt beteiligt sind, freuen sich über die gestiegene Vielfalt an Vogelstimmen auf ihrem Land.
Schliesslich belegen auch die Zahlen des Ebenrain-Zentrums den Erfolg. Die Landwirte am Farnsberg haben einen fast doppelt so hohen Anteil an Biodiversitätsförderflächen als der kantonale Durchschnitt. Dies soll auch weiterhin so bleiben. Aktuell laufen die Arbeiten für das Gesuch zur kommenden Projektperiode 2025–2028. Neben bewährten Massnahmen sollen auch innovative Ansätze wie Agroforst und nachhaltiges Wassermanagement getestet werden. Schliesslich ist die Mischung aus Experimentierfreude und langfristiger Planung ein dritter Schlüssel für den Erfolg dieses Projekts. Ein Besuch im Jubiläumsjahr lohnt sich!
Autor: Jonas Schälle, BirdLife Schweiz
Dieser Artikel erschien in der Agricultura-Ausgabe 3/2024 und in leicht abgeänderter Version bereits in der Zeitschrift Ornis.
Offene Bodenstreifen sind wertvoll Strukturen für den Neuntöter, besonders wenn sich der offene Boden direkt neben einer Hecke mit Saum befindet. Die Massnahme wurde inzwischen auch von anderen Kantonen übernommen.