Kollektiver Reisanbau im Senegal

Im Süden Senegals bauen engagierte Kleinbäuerinnen gemeinsam Reis an – ein System, das gesunde Nahrung auch für Menschen in Notlage zugänglich macht. Eine Reise an einen Ort, an dem Solidarität, Ernährungssouveränität und Nachhaltigkeit zusammenkommen, untersucht im Rahmen meiner Masterarbeit in Sozialanthropologie.

Oussouye (im Südwesten) liegt in der Region Casamance, die landschaftlich von Mangroven und Reisfeldern entlang zahlreicher Flussarme geprägt ist.

Goldig schimmernd oder knallgrün leuchtend: So präsentiert sich die Landschaft der Casamance, einer Region ganz im Süden des Senegals, je nach Saison. Die Farben rühren von den unzähligen Reisfeldern, auf denen Kleinbäuerinnen und -bauern seit Jahrhunderten in Handarbeit Reis anbauen. Das weisse Korn ist für die Menschen äusserst wichtig: Nicht nur bildet es die primäre Nahrungsgrundlage, sondern es ist auch mit religiösen Elementen verbunden.

Königreich besteht neben dem Staat

Der König – in der Sprache der Ethnie Jola áyii genannt und von den Franzosen mit roi übersetzt – hat nichts mit einem feudalen Louis XIV gemeinsam. So wird er weder als König geboren noch kann er sein Amt vererben. Überdies lebt er ein sehr bescheidenes Leben. Eine seiner Hauptaufgaben ist es, für den Reis der Bevölkerung zu sorgen. Zudem übernimmt er Aufgaben im religiösen Bereich und in der Konfliktschlichtung. 21 Dörfer bilden eine Einheit («Königreich») namens Bubajum Áyii, die parallel zu den staatlichen Organen existiert, ähnlich wie die Burgergemeinden in der Schweiz.

In der Ansicht der Menschen vor Ort darf es niemandem an Reis fehlen. Dies ist nicht nur eine Floskel, denn ganz im Süden der Region rund um die Kleinstadt Oussouye (siehe Karte) existiert ein Hilfssystem für jene, die nicht genug Reis haben. Es baut auf einer Allmende auf und wird von einem lokalen König (s. Kasten) verwaltet.

Landgebundene Form der Hilfeleistung

Nicht alle Bauernfamilien hatten historisch gesehen die gleichen Möglichkeiten, Reis anzubauen. Sei dies, weil sie nicht genug Land besassen oder weil ihnen Arbeitskräfte fehlten. In früheren Zeiten war diese Konstellation denkbar schlecht für die Bäuerinnen, denn so hatten sie nicht genug, um sich selbst und ihre Familie zu ernähren. Diese Menschen konnten den «König» diskret um Reis bitten.

In vorkolonialer Zeit gab es in vielen Teilen Afrikas ähnliche Systeme. Viele davon sind jedoch durch Kolonialisierungsprozesse und die damit verbundenen Landnahmen zerstört worden. Nicht so in der Region Oussouye. Doch woher nimmt dieser König, der selbst nicht kultivieren darf, den Reis? Ihm wurden in ferner Vergangenheit von verschiedenen Familien Felder übergeben. Diese sind seither dafür reserviert, Reis für Menschen in Notlage anzubauen. Die Arbeit ist gemeinschaftlich organisiert: Primär helfen Personen aus den drei verschiedenen Dörfern, in denen die Felder zu finden sind, je nach Verfügbarkeit und Möglichkeiten arbeiten aber immer wieder auch andere Dörfer mit. Nach der Ernte wird der Reis zentral beim Hauskomplex eingelagert, in dem die Ehefrauen des Königs wohnen.

Nach Hilfe zu fragen ist keine einfache Angelegenheit, erst recht nicht, wenn es einem am Grundlegendsten, dem Reis, fehlt. Aus diesem Grund werden die Hilfesuchenden äusserst diskret behandelt. Das ermöglicht, dass die Menschen ihr Gesicht vor ihren Mitmenschen nicht verlieren müssen, indem sie etwa auf offener Strasse betteln. Um die diskrete Hilfe zu erlangen, richten die hilfesuchenden Personen ihre Bitte an den König. In der Nacht finden sie anschliessend einen Korb voller Reis vor dem Reisspeicher, dessen Inhalt sie im Schutz der Dunkelheit mitnehmen können. Im Idealfall erfährt niemand, wer Hilfe in Anspruch genommen hat. Der Reis ist für alle da – unabhängig von Ethnie, Wohnort, Hautfarbe oder Sprache.

Während der Regensaison (Juli–August) füllen sich die Felder mit Wasser. In dieser Zeit werden die Dämme repariert, die Felder gepflügt und gedüngt sowie die Setzlinge gepflanzt. Von Oktober bis Januar erfolgt die Ernte.

Zugang zu gesunder Nahrung im Wandel

Dank der Allmende sind Menschen in Notlagen auch ohne Unterstützung des Staats und westlicher Hilfsorganisationen abgesichert, welche die Prämisse der Diskretion oft missachten. Des Weiteren ermöglicht die Allmende den Zugang zu gesunder Nahrung für alle. Für die Menschen ist der selbst angebaute Reis dem Importierten aus Asien in vielerlei Hinsicht überlegen: Er schmecke besser, sei nahrhafter, vitaminreicher und sättige länger. In einigen Punkten bestätigen wissenschaftliche Studien diese Einschätzungen. Allerdings ist der Reisanbau in den letzten Jahrzehnten aufgrund verschiedener, miteinander verwobener Entwicklungen unter Druck geraten und damit auch das Allmendesystem. Einerseits spüren die Bauern die Auswirkungen des Klimawandels: Die Regensaison beginnt später und hält weniger lange an. Das heisst es bleibt weniger Zeit, um die Dämme zu unterhalten, welche das salzige Flusswasser von den Feldern fernhalten, sowie die Felder zu pflügen. Andererseits entscheiden sich viele junge Menschen gegen die körperlich anspruchsvolle Feldarbeit und ziehen bezahlte Jobs in grösseren Städten vor – unter anderem auch, weil der Reisanbau finanziell nichts einbringt und die Menschen Geld benötigen. Der Verkauf von Reis ist traditionell nicht erlaubt, und wirtschaftlich wäre es vermutlich schwierig, mit dem günstigen, importierten Reis aus Asien zu konkurrieren. Aus diesen Gründen geht der Reisanbau zurück und die Menschen greifen im Alltag häufig auf importierten Reis zurück.

Neue Möglichkeiten für Konsumentinnen und Bauern

Dass sich angesichts dieser Entwicklungen etwas ändern muss, haben die Menschen erkannt. Am Legislativort des Königreichs hat die Bevölkerung deshalb den Entscheid gefällt, die Art, wie die Königsfamilie Hilfe leisten kann, auszuweiten. Infolgedessen wurde der Verein Servir Bubajum Áyii gegründet. Dieser Verein wird von einer der beiden Königinnen geführt und hilft den Menschen mit unterschiedlichen Dingen. Diese reichen von direkten Hilfeleistungen für Armutsbetroffene in Form von Geld oder Reis bis hin zu Unterstützungsbeiträgen für ein kleines Unternehmen, das der Allgemeinheit dient. Letzteres soll dabei helfen, die lokale Wirtschaft zu stärken und den Menschen einen Anreiz zum Verbleiben auf dem Land zu geben. Unterstützt werden dabei insbesondere Projekte in der Landwirtschaft, in der Verarbeitung von landwirtschaftlichen Erzeugnissen und von kleinen Restaurants. Der Verein wird mit Spendeneinnahmen finanziert und beruht auf Freiwilligenarbeit.

Die Landschaft der Casamance ist dabei, sich zu verändern. Zwar dominieren nach wie vor die goldigen und grünen Reisfelder, doch an manchen Stellen gibt es auch Brachen. Trotz den Herausforderungen, die durch den Klimawandel und veränderte Lebensrealitäten bestehen, bleibt das Hilfssystem durch die Allmende bestehen. So will es eine Regel, die besagt, dass die Felder unbedingt bewirtschaftet werden müssen, sofern es einen König gibt. Damit haben die Menschen, solange es einen König gibt, auch ohne eigene Felder einen Zugang zu gesunder Nahrung. Das neue, zusätzliche Hilfssystem über den Verein ergänzt die bestehenden Angebote und sorgt für mehr Sicherheit.

  • Dieser Artikel erschien in der Agricultura-Ausgabe 2/2025. Autorin: Alina Schönmann

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