Ressourcen erhalten und Züchtung verbessern

Die Verarmung der genetischen Vielfalt in der Landwirtschaft ist noch weniger sichtbar und dokumentiert als der Rückgang der Arten- und Lebensraumvielfalt. Und doch ist ihre Erhaltung fundamental. Von der Vielfalt der genetischen Ressourcen hängt die Stabilität unseres Ernährungssystems ab.

Vielfalt an Paprikasorten in einem Projekt des nationalen Aktionsplans PGREL

Verborgene genetische Vielfalt

Die genetische Vielfalt verleiht den Individuen einer Art Merkmale, die von der Form über die Farbe bis hin zur Ausprägung von Resistenzen reichen. Über den Zustand und die Entwicklung von Wild- und Kulturpflanzen ist nur wenig bekannt. Globale Strategien und Massnahmen zur Erhaltung der biologischen Vielfalt haben den Schutz und ein Monitoring der genetischen Vielfalt bisher vernachlässigt.

Eine geringe genetische Vielfalt erhöht die Anfälligkeit für Krankheiten. Die verheerende Hungersnot in Irland im 19. Jahrhundert wird teilweise auf die geringe genetische Vielfalt bei den Kartoffeln zurückgeführt, die zu einem Ausbruch der Kraut- und Knollenfäule und zur Zerstörung der Kulturen führte. Im Jahr 2020 zeigte eine finnisch-schweizerische Studie, warum manche Pflanzen anfälliger sind und von mehr Viren infiziert werden als andere: Dies hängt vor allem von der genetischen Vielfalt der Wirte ab. Die genetische Vielfalt sollte daher unbedingt als nachhaltiges Mittel zur Bekämpfung von Krankheiten in der Landwirtschaft berücksichtigt werden. Die genetische Vielfalt bestimmt auch die Anpassungsfähigkeit an Umweltbedingungen und die Widerstandsfähigkeit gegenüber dem Klimawandel. Eine Studie von 2016, an der Agroscope beteiligt war, unterstrich unter anderem die Bedeutung von mit der genetischen Vielfalt zusammenhängen Merkmalen für die Stabilität der Graslandproduktion angesichts von Wasser- und Hitzestress, mit dem das Grasland Schweiz konfrontiert sein wird.

Erhaltung der Ressourcen

Die genetische Vielfalt ist durch den Klimawandel, aber auch durch gesellschaftliche Faktoren wie das Bevölkerungswachstum, die Intensivierung in der Landwirtschaft oder die Aneignung geistigen Eigentums bedroht. Der Aufschwung in der Pflanzenzucht führte bis Mitte des 20. Jahrhunderts zu einem Anstieg der genetischen Vielfalt in Europa. Danach kam es zu einem raschen Rückgang der Vielfalt, da die bäuerlichen Sorten durch einige wenige moderne, genetisch homogene Sorten ersetzt wurden, und schliesslich zu einer Stabilisierung der Anzahl dank der intensiven Arbeit verschiedener Organisationen. 1999 wurde der Nationale Aktionsplan zur Erhaltung und nachhaltigen Nutzung der pflanzengenetischen Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft (NAP-PGREL) ins Leben gerufen. Der Grad der Erhaltung variiert stark je nach Pflanzengruppe und Kultur. Bei Obstbäumen ist dieser Prozess weit fortgeschritten und gut dokumentiert, während in vielen Gemüse-Pflanzenfamilien erst wenige Sorten geschützt werden konnten.

Laut Agnès Bourqui, Geschäftsführerin der Schweizerischen Kommission für die Erhaltung von Kulturpflanzen (SKEK), fehlen zuverlässige Daten, um die Frage nach dem Zustand der genetischen Vielfalt umfassend beantworten zu können. Die SKEK ist in erster Linie ein Netzwerk mit über vierzig Mitgliedsorganisationen aus der ganzen Schweiz. Sie leistet sowohl Fach- als auch Öffentlichkeitsarbeit für die Erhaltung und nachhaltige Nutzung der genetischen Vielfalt von Nahrungs- und anderen Nutzpflanzen in der Landwirtschaft. Sie startete ein Pilotprojekt zur Überprüfung der genetischen Vielfalt, das bis 2026 weitergeführt werden soll, um das Indikatorensystem zu optimieren und ein echtes Monitoring zu starten.

Dynamische und komplexe Beziehungen

Die Agrobiodiversität wird als Ressource genutzt und steht in engem Zusammenhang mit der Ernährung und dem Funktionieren von Agrarökosystemen. Die genetische Agrobiodiversität setzt sich aus domestizierten Arten und vom Menschen geschaffenen Pflanzensorten zusammen. Sie umfasst aber auch Wildarten, die mit Kulturpflanzen nahe verwandt sind und ein Reservoir für die Verbesserung bestehender Sorten darstellen.

So entwickelt der Verein Getreidezüchtung Peter Kunz (GZPK) Nutzpflanzen für die biologische Landwirtschaft am Beispiel des Dinkels, der einzigen in Europa entstandenen Getreideart, die in einigen Regionen der Schweiz lange Zeit das vorherrschende Getreide war. Er wurde jedoch im 19. und 20. Jahrhundert durch den Weizen ersetzt, was zu einem erheblichen Verlust an Vielfalt führte. Die nationale Genbank in Changins bewahrt über 10 000 alte und moderne Pflanzensorten auf, darunter fast 2200 Dinkelsorten. Sie spiegelt das reiche Erbe an Sorten mit wichtigen Eigenschaften für unser Klima wider, die sowohl von kulturellem als auch von genetischem Wert sind.

Seit einigen Jahrzehnten wählt, kreuzt und vermehrt ein Team von GZPK gesunde, stabile Dinkelsorten, die an unterschiedliche Bedingungen angepasst sind und eine hohe Qualität für die menschliche Ernährung aufweisen. So entstand im Laufe der Zeit ein Genpool, der dazu beiträgt, wieder mehr Vielfalt auf die Felder – insbesondere in den Grenzgebieten für den Getreideanbau – und Stabilität in die zukünftige Nahrungsmittelproduktion zu bringen.

 

Der Verlust der genetischen Vielfalt stellt im Vergleich zur Anpassungsfähigkeit des landwirtschaftlichen Systems einen noch kaum erforschten, versteckten Kostenfaktor dar. Ein weiterer Kostenfaktor ist noch schwerer zu beziffern: der Verlust eines gemeinsamen Erbes der Menschheit und die sozialen Herausforderungen, die sich aus dem (mangelnden) Zugang zu Saatgut ergeben, insbesondere durch die Einführung von Hybrid- oder gar GVO-Sorte, die von den multinationalen Unternehmen zurückgekauft werden müssen. Der Schutz der genetischen Vielfalt und ihr freier Zugang ermöglichen es den Bäuerinnen und Bauern, die Bevölkerung weiterhin zu ernähren.

Dieser Artikel erschien in der Agricultura-Ausgabe 3/2024. Autorin: Anne Berger (Übersetzung in Deutsch Nicolas Küffer)

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