Dr. Alda Breitenmoser, Präsidentin des Verbands der Kantonschemiker der Schweiz (VKCS) und selbst Kantonschemikerin im Kanton Aargau, erläutert die verschiedenen politischen Bestrebungen, die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln an die Europäische Union anzupassen. Eine davon – die parlamentarische Initiative Bregy – hält sie für besonders gefährlich.

Frau Dr. Breitenmoser, welche Rolle und Aufgaben haben Kantonschemikerinnen und -chemiker?
Wir sind für den Vollzug der Lebensmittelgesetzgebung in den Kantonen zuständig. Dazu führen wir Betriebskontrollen in allen Lebensmittelbetrieben durch und untersuchen risikobasiert Proben aus Produktion und Handel in unseren Laboratorien. Da Trinkwasser das wichtigste Lebensmittel ist, werden auch Wasserversorgungen periodisch inspiziert und eine grosse Anzahl an Trinkwasserproben – unter anderem auf Pflanzenschutzmittelrückstände – im Labor untersucht.
Aktuell laufen beim Bund verschiedene Bestrebungen, das Zulassungssystem von Pflanzenschutzmitteln an dasjenige der Europäischen Union anzupassen. Wie steht der VKCS dazu?
Die Annäherung des Zulassungsverfahrens an die EU ist zweckmässig und sinnvoll. Die Situation, wonach rund 600 bis 700 Zulassungsgesuche beim Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen pendent sind, ist zudem unbefriedigend.
Die parlamentarische Initiative «Moderner Pflanzenschutz in der Schweiz ermöglichen» von Mitte-Nationalrat Philipp Bregy verspricht, das Problem der pendenten Zulassungsgesuche zu beheben. Warum lehnet der VKCS diese dennoch ab?
Im Vorschlag wird nicht dargelegt, weshalb gerade die Zulassungen unserer Nachbarländer und darüber hinaus der Niederlande und Belgien zu einer vereinfachten Zulassung führen sollen, zudem sind die klimatischen Bedingungen in diesen Ländern sehr unterschiedlich und mit der Schweiz nicht einfach vergleichbar. Des Weiteren hätten wir keine Einsicht in die Zulassungsdossiers der Wirkstoffe in der EU, auf welchen die Zulassungen basieren.
Welche Auswirkungen hätte die Annahme dieser parlamentarischen Initiative?
Beim darin vorgesehenen vereinfachten Zulassungsverfahren mit beschränkter Verfahrensdauer würde die Zulassungsprüfung nur noch sehr oberflächlich erfolgen. Die zahlreichen bestehenden Verunreinigungen zeigen jedoch, dass die Prüfung bereits bislang nicht sorgfältig genug erfolgte. Die Umsetzung des Vorschlages würde dazu führen, dass die Schweiz von den genannten Ländern stets das tiefste Schutzniveau aufweisen würde. Der Vorschlag geht damit grundsätzlich in die falsche Richtung, denn damit wird der Schutz für Mensch, Tier und Umwelt weiter reduziert. Es darf nicht sein, dass die bislang erzielten Verbesserungen wieder rückgängig gemacht werden. Mit «modernem» Pflanzenschutz hat der Vorschlag nichts zu tun.
Auf der anderen Seite begrüsst der VKCS die Totalrevision der Pflanzenschutzmittelverordnung, die ebenfalls eine Annäherung an das EU-Recht erzielt. Weshalb?
Die Totalrevision haben wir deshalb begrüsst, weil mit den vorgeschlagenen Änderungen die Übersichtlichkeit in der komplexen Regulierung verbessert wird. Durch die Anlehnung an das EU-Recht werden bei der Genehmigung von Wirkstoffen Verzögerungen verhindert. Trotzdem wird es möglich sein, Abweichungen festzulegen, so beispielsweise, wenn sonst gewässerschutzrechtliche Vorgaben nicht eingehalten werden können. Auch die Befristung der Genehmigungen von Wirkstoffen macht Sinn. So kann sichergestellt werden, dass Pflanzenschutzmittel regelmässig auf die Einhaltung der neusten Zulassungskriterien überprüft werden. Voraussetzung dafür ist, dass die personellen Ressourcen für die Überprüfung ausreichend sind – was wir allerdings bezweifeln.
Das gilt für die einzelnen Wirkstoffe. Aber auch für die fertigen Produkte – für die Pflanzenschutzmittel – soll die Zulassung an die EU angepasst werden, ähnlich wie bei der parlamentarischen Initiative Bregy. Warum hat sich der VKCS dennoch für diese Revision ausgesprochen?
Im Unterschied zum Vorschlag Bregy macht es durchaus Sinn, da es sich um eine Kann-Formulierung handelt. Zudem wird vorgegeben, dass in diesem Mitgliedstaat mit der Schweiz vergleichbare agronomische, klimatische und umweltrelevante Bedingungen herrschen müssen. Allerdings droht dennoch die Gefahr, dass in der Schweiz mit der Zeit die meisten Produkte aller EU-Länder zugelassen sind, auch solche mit unerwünschten Auswirkungen, weil diese Kriterien sehr unscharf sind und im Verordnungstext nicht weiter präzisiert werden. Wir haben deshalb in unserer Stellungnahme gefordert, dass die Kriterien zur Übernahme von Produktzulassungen aus Mitgliedstaaten der EU klarer festzulegen sind.
Aktuell läuft zudem die Vernehmlassung zu den sogenannten Bilateralen III, in denen ebenfalls eine Einbindung der Schweiz in das Zulassungssystem für Pflanzenschutzmittel der EU vorgesehen ist. Wie schätzen Sie die Folgen davon ein?
Die Auswirkungen auf die Landwirtschaft, die Lebensmittelsicherheit, die öffentliche Gesundheit und die Trinkwasserqualität werden aktuell analysiert. Es ist daher noch zu früh, hierzu Aussagen zu machen.
Was sind für Sie die drängendsten Fragen im Zusammenhang mit dem Einsatz von Pflanzenschutzmitteln?
Als Kantonschemikerin in einem ebenfalls landwirtschaftlich geprägten Kanton habe ich Verständnis für den Schutz der landwirtschaftlichen Kulturen. Dieser darf aber auf keinen Fall zu Lasten der Gesundheit der Bevölkerung ausfallen. Letztendlich kann man diese Herausforderung auch mit dem One Health-Ansatz umschreiben: Nur mit einer intakten Umwelt, gesunden Tieren und sicheren Lebensmitteln ist auch die Gesundheit der Bevölkerung in Zukunft zu gewährleisten.
Wie geht es nun weiter?Die Kleinbauern-Vereinigung setzt sich für die in den Bilateralen III vorgesehene Lösung ein, bei der die Schweiz wie ein Mitgliedstaat der Europäischen Union in das Zulassungssystem für Pflanzenschutzmittel der EU integriert wird und fordert, die Beratung der parlamentarische Initiative Bregy zu sistieren. Das Interview wurde im Juni geführt, Redaktionsschluss war am 10.08.2025. Den aktuellen Stand der Beratungen finden Sie unter Aktuelles und auf unseren Social-Media-Kanälen. |