Lernen durch Beobachten und Ausprobieren

Ein lebendiger Boden ist die Basis für eine ertragreiche landwirtschaftliche Lebensmittelproduktion und ein gesundes Ökosystem. Dem sind sich eine zunehmende Anzahl von Bauern und Gemüseproduzentinnen bewusst. Regenerative Anbaumethoden sind im Trend. Dabei stehen die Bodenfruchtbarkeit und der Humusaufbau im Zentrum.

Teilnehmende des Basiskurses «Regenerativer Gemüsebau» bei der gemeinsamen Bodenbeurteilung. PHOTO: REGENERATIV SCHWEIZ

Eine Landwirtschaft, die durch die Bewirtschaftung das Bodenleben regeneriert, die Bodengesundheit aktiv fördert und zugleich die Biodiversität und den Wasserkreislauf verbessert, kann als «regenerativ» bezeichnet werden. Gemäss der Lernplattform Regenerativ Schweiz ist «regenerative Landwirtschaft ein Prozess hin zu ganzheitlicher, naturnaher und nachhaltiger Lebensmittelproduktion unter Nutzung des heutigen Wissens und der sinnvollen Verwendung von moderner landwirtschaftlicher Technik.» Seinen Ursprung hat die Anbaumethode in den 1970er-Jahren am Rodale Institute in den USA. Bei der regenerativen Landwirtschaft handelt es sich um einen ganzheitlichen und nicht abschliessenden Ansatz, der betriebsindividuell und in einem fortschreitenden Prozess erprobt und angewandt wird. Es ist keine durch Richtlinien oder Gesetze definierte Anbaumethode und auch kein offizielles Label. Die Uneindeutigkeit in der Definition und dass der Begriff «regenerativ» nicht geschützt ist, birgt die Gefahr des Greenwashings. Eine zunehmende Anzahl von grossen Agrarkonzernen bedient sich an dem Begriff, um eine vermeintlich nachhaltige Praxis zu propagieren.

Fünf Grundsätze geben Orientierung

Die regenerative Landwirtschaft besteht aus in der Praxis gewonnenen Erfahrungen. Die folgenden fünf Prinzipien dienen als Orientierung. (1) Die Biodiversität in und über dem Boden wird gefördert durch Mischkulturen und abwechslungsreiche Fruchtfolgen. (2) Vielfältige Pflanzengemeinschaften durchwurzeln den Boden möglichst dauerhaft. Um Nährstoffverluste und Erosion zu vermeiden, ist der Boden neben der jeweiligen Hauptkultur möglichst lückenlos bedeckt oder bewachsen (3), z. B. durch Mulch oder vielfältige Zwischenfrüchte. Um das Bodenleben zu schonen und den Boden nicht zu verdichten, wird er möglichst sparsam oberflächlich bearbeitet (4). Auch das bewusste Integrieren von Weidetieren gehört zum Anbausystem (5). Nicht in den Grundsätzen aufgezählt, aber dennoch wichtig, ist das Reduzieren oder wenn möglich Vermeiden von Herbiziden, Insektiziden und Kunstdüngern, da diese auf die Dauer den Boden auslaugen und die Bodenlebewesen stören.

Lernen, das Bodennahrungsnetz zu verstehen

Das Verständnis für das Bodennahrungsnetz – das Zusammenspiel von Pflanzen, Tieren, Boden und Bodenleben – bildet ein Schlüsselelement für die regenerative Anbauweise. Viel geht es auch ums Ausprobieren, denn jeder Boden hat andere Bedürfnisse und wird von den vorherrschenden Klimaverhältnissen beeinflusst. Der Austausch über die eigenen Erfahrungen – negativ oder positiv – hilft, die geeigneten, betriebsindividuellen Lösungsansätze zu finden. Für alle, die lernen wollen, wie man bodenaufbauend und nachhaltig Gemüse produziert, bietet Regenerativ Schweiz den Basiskurs «Regenerativer Gemüsebau» an. Im Jahreskurs werden die nötigen Werkzeuge im theoriebezogenen Online-Unterricht und an Praxistagen auf regenerativ wirtschaftenden Betrieben vermittelt. «Der Grossteil der Kursteilnehmenden ist auf kleinstrukturierten Betrieben tätig. Im Vergleich dazu waren die an den Praxistagen besuchten Betriebe eher gross. Dennoch werden dort die regenerativen Methoden mit grösster Sorgfalt, Pioniergeist und Überzeugung angewendet», berichtet Flurina Zahnd. Die Gemüsegärtnerin bei der Stiftung Bächtelen in Wabern bei Bern hat den diesjährigen Basiskurs besucht. «Wer den Boden als Ressource nutzt, sollte darum bemüht sein, dass er lebendig bleibt und der Humusgehalt nicht weniger wird. Alles andere ist nicht nachhaltig», findet Marion Salzmann. Die Gemüsegärtnerin arbeitet bei der solidarischen Landwirtschaftsinitiative radiesli in Worb und gehört auch zu den Teilnehmenden des Kurses. «Ich habe viele Werkzeuge erhalten, wie ich die Zusammenhänge zwischen Bodenleben und Pflanzengesundheit besser begreifen kann. Und zum ersten Mal habe ich das Gefühl, dass ich eine Bodenprobe lesen und einigermassen verstehen kann», erzählt sie.

Das Ziel ist ein gesunder, lebendiger Boden

Bodenprobe und Laboranalyse geben Aufschluss über den Nährstoffgehalt, den pH-Wert oder den Humusgehalt der Erde. Es gibt aber auch Eigenschaften des Bodens, die nicht im Labor gemessen werden können. Daher lohnt es sich, die Bodenstruktur in regelmässigen Abständen mit dem Spaten auf dem Feld zu untersuchen. Das Ausführen von Spatenproben und die Bodenbeurteilung im Feld sind ein zentraler Bestandteil des Regenerativ-Kurses. Dadurch lassen sich auch Rückschlüsse auf die Art der Bearbeitung des Oberbodens ziehen. Je mehr Schichten die Bodenprobe aufweist, desto natürlicher und weniger verdichtet ist der Erdboden. Auch der Geruch und die Farbe der Erde sind Indikatoren für die Bodengesundheit. Ein humusreicher, krümeliger Boden ist belebt von einer Vielfalt an Bodenlebewesen, dem Edaphon. Die von blossem Auge nicht erkennbaren Bodenlebewesen, grösstenteils Bakterien, Algen und Pilze, sind für die Neubildung des Bodens bzw. des Humus verantwortlich. Das Ziel ist ein Humusgehalt von 5 – 6 %. Ab diesem Wert gewinnt der Boden seine Eigendynamik zurück. Die Pflanzen werden durch die Bodenlebewesen mit ausreichend Nährstoffen versorgt und sind resistenter gegenüber Schädlingen oder Krankheiten, ohne künstliche Zugaben. Mit dem Humusaufbau verbunden ist die Kohlenstoffspeicherung im Boden, wodurch auch ein Beitrag zur Klimaregulation geleistet wird. Der Humusgehalt kann auch durch Kompost(-tee), Mulch, Gründüngungen, Pflanzenkohle oder Pflanzenfermente erhöht werden. Komposttee enthält Mikroorganismen und Nährstoffe, die das Pflanzenwachstum und deren Photosynthese-Leistung fördern. Auf den Biohöfen, die an den Praxistagen besucht werden, wird Komposttee selbst hergestellt. Flurina Zahnd berichtet: «Die Temperatur beim Kompostteebrauen beeinflusst, welche Mikroorganismen vermehrt werden. Ich wusste nicht, dass Komposttee auch kalt angesetzt werden kann. Dieses neu erlangte Wissen setzte ich am nächsten Tag sofort um.» Genau darum geht es in den praxisbezogenen Regenerativ-Kursen: Den Teilnehmenden werden die nötigen Werkzeuge vermittelt, um auf ihren Betrieben die gewonnenen Erfahrungen selbst auszuprobieren, den eigenen Boden und das Pflanzenwachstum zu beobachten und laufend auf die dortig vorherrschenden Bedingungen anzupassen.

  • Dieser Artikel erschien in der Agricultura-Ausgabe 4/2024. Autorin: Sarah Elser

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