Neue Gentechnik-Verfahren machen es möglich, gezielt in die Genomsequenz eines Organismus einzugreifen und diese zu verändern. Diese Techniken haben das Potenzial, die Funktionen und Eigenschaften von Organismen radikal zu verändern. Aber ihr Einsatz birgt Risiken und Ungewissheiten.
Seit Jahrzehnten nähren die Befürworter der Gentechnik die gleichen Hoffnungen: Bekämpfung von Welthunger und Armut sowie Lösungen für die Umwelt- und Klimaprobleme. Allerdings haben nur sehr wenige Anwendungen und Produkte in der Landwirtschaft tatsächlich zum erwarteten Ergebnis geführt. Es ist eine Illusion zu glauben, dass die neuen gentechnischen Verfahren dies ändern werden.
Die Risiken bleiben
Die Modifikation eines Pflanzengenoms mit den neuen Verfahren – auch ohne Einführung zusätzlicher DNA1 – sind jenseits dessen, was die natürliche Evolution oder die klassische Pflanzenzüchtung erreichen können. Die neuen Gentechnikverfahren erhöhen nicht nur die Vielfalt und Häufigkeit von Mutationen und die Anzahl der gentechnisch veränderten Organismen, sondern ermöglichen auch die gleichzeitige Modifikation mehrerer Gene. Die Befürworter der neuen Verfahren behaupten, die Genome von Pflanzen und Tieren «präzise» verändern zu können. Aber die natürlichen Mechanismen sind äusserst komplex und noch weitgehend unverstanden. Die Idee, dass ein Gen2 für eine Funktion verantwortlich ist, die ersetzt oder deaktiviert werden kann, ist vereinfachend und berücksichtigt nicht die Interaktionen zwischen den Genen und mit der Umwelt.
Ethische Bedenken
Das Potenzial der neuen gentechnischen Verfahren wirft auch ethische Fragen auf. Mehr und mehr geht es bei Forschungsprojekten um Nutztiere. Das Gentechnikgesetz fordert zwar die Achtung der Würde der Kreatur. Wo aber sind die Grenzen solcher Experimente zu setzen, und wie kann man den Schaden und das Leid, das bei Tieren entsteht, beurteilen? Oder ist es beispielsweise vertretbar, Schädlingspopulationen zu verändern oder gar auszurotten und sich damit das Recht herauszunehmen, eine genetische Veränderung durchzusetzen, die auch künftige Generationen betreffen wird? Das natürliche genetische Erbe sollte als gemeinsames Eigentum der Menschheit betrachtet werden, das es zu schützen gilt.
Regulierungen sind nötig
Gemäss Agroindustrie sind die neuen gentechnischen Verfahren sicher und genau. Das Risiko des Kontrollverlustes ist allerdings gross, Regulierungen sind deshalb unerlässlich. Studien haben gezeigt, dass man weder den genauen Ort der Genmodifikation noch die verursachten Veränderungen vollständig unter Kontrolle hat. Dies kann zu unerwünschten Effekten führen. Zum Beispiel wurden Kühe gentechnisch so verändert, dass sie hornlos sind. Die «Fehler» wurden erst Jahre später entdeckt: Zwei Gene für die Resistenz gegen Antibiotika waren ungewollt in das Genom übertragen und an die Nachkommen weitergegeben worden! Es besteht auch die Notwendigkeit, Fragen im Zusammenhang mit der Koexistenz von Kulturen und Produkten mit und ohne gentechnisch veränderte Organismen (GVO) zu klären. Verunreinigungen würden den ökologischen Landbau bedrohen. Ohne die Rückverfolgbarkeit von Produkten aus diesen neuen Verfahren wäre zudem die im Gesetz verankerte Wahlfreiheit der Konsumentinnen und Konsumenten nicht mehr gegeben.
Interessenkonflikte
Die Agroindustrie hat mit den neuen gentechnischen Verfahren viel zu gewinnen. Sie verwendet das Argument des «natürlichen Mechanismus» um den bestehenden rechtlichen Rahmen auszureizen und Patente anzumelden – die eine Erfindung schützen, die keinen natürlichen Mechanismus darstellt. Und die Schweizer Landwirtschaft? Es gibt aktuell keine gentechnisch veränderten Produkte auf dem Markt, die für den Schweizer Anbau geeignet sind. Die GVO auf dem internationalen Markt machen Landwirte abhängig von Inputs und bergen das Risiko, sich in der Natur zu verbreiten. Heute kontrollieren die vier grössten Agrochemieunternehmen 60% des weltweiten Saatguthandels. Anstatt weiterhin die Gentechnik zu finanzieren, wäre es ratsamer, in die Agrarökologie zu investieren, um die Ernährungssicherheit zu gewährleisten. Eine kritische Reflexion und Regulierungen unter Anwendung des Vorsorgeprinzips sind notwendig und dringend. Der Einsatz von GVO birgt unbekannte Risiken und stärkt eine Landwirtschaft mit negativen Auswirkungen auf Mensch und Umwelt. Es ist im Interesse von Landwirtinnen und Verbrauchern, diese neuen gentechnischen Verfahren in einen rechtlichen Rahmen einzubinden, der eine Risikoabwägung ermöglicht. Die Produktion ohne Gentechnik stellt einen Qualitätsvorteil für die Schweizer Landwirtschaft dar.
CRISPR/Cas92020 ging der Nobelpreis für Chemie an die Forscherinnen Jennifer Doudna und Emmanuelle Carpenter für das Genom-Editing-Verfahren CRISPR/Cas9, das aus zwei Elementen besteht: |
1 Die DNA besteht aus zwei Strängen und enthält die gesamte genetische Information, genannt Genom. Die RNA ist ein Einzelstrang und eine «Kopie» einer Sequenz eines der DNA-Stränge.
2 Ein Gen ist ein Stück DNA, durch das ein Erbmerkmal an die Nachkommen weitergegeben wird.
Moratorium für GVO in der Schweiz
Das Moratorium zum Inverkehrbringen von gentechnisch veränderten Organismen (GVO), d.h. eines lebenden Organismus, dessen genetische Information durch menschliche Eingriffe verändert wurde, um ihm neue Informationen zu geben, läuft Ende 2021 aus. Die Kleinbauern-Vereinigung befürwortet die Verlängerung des Moratoriums, das sich derzeit in der Vernehmlassung befindet, und setzt sich ein für eine risikoärmere Alternative: eine ökologische und standortangepasste Landwirtschaft. Im Jahr 2003 lancierte die Schweizer Allianz Gentechfrei* die Volksinitiative «Für Lebensmittel aus gentechnikfreier
Landwirtschaft» (Gentechfrei-Initiative). Diese forderte ein fünfjähres Verbot von Pflanzen, Pflanzenteilen oder Saatgut in der Schweizer Landwirtschaft, die gentechnisch verändert wurden. Das Moratorium wurde von einer Mehrheit der Landwirte unterstützt und 2005 von mehr als 55 % der Stimmberechtigten angenommen. Es soll den Menschen, die Tiere und die Umwelt vor Missbräuchen der Gentechnologie schützen. Die Forschung ist nicht betroffen. Auch der Import von GVO, z.B. für Tierfutter, ist nicht verboten, aber die Schweizer Landwirtinnen haben bisher freiwillig darauf verzichtet. Das Moratorium wurde bereits dreimal verlängert.
* Die Schweizer Allianz Gentechfrei SAG leistet kritische und unabhängige Arbeit zu Fragen der Gentechnik und ihren Auswirkungen auf Landwirtschaft, Tierhaltung, Umwelt und Gesundheit.
Dieser Artikel erschien in der Agricultura-Ausgabe 1/2021. Autorin: Anne Berger