Radikale Möglichkeit zur Veränderung

Nach nur neun Monaten Unterschriftensammlung wurde im Januar die sogenannte Trinkwasserinitiative eingereicht. Schon während der Sammelphase führte die Initiative zu heftigen Diskussionen, die bis heute nicht abgeflacht sind. Aus gutem Grund, denn die Initiative hat das Zeug eine grundlegende Richtungsänderung in der Agrarpolitik zu bewirken.

Die Initianten der „Initiative für sauberes Trinkwasser und gesunde Nahrung – Keine Subventionen für den Pestizid‐ und prophylaktischen Antibiotikaeinsatz» beabsichtigen, die Landwirtschaft tiefgreifend umzugestalten. Wer in Zukunft Direktzahlungen erhalten will, muss pestizidfrei produzieren, den Tierbestand an die betriebseigene Futtergrundlage anpassen und auf den prophylaktischen Einsatz von Antibiotika verzichten. Sie begründen ihr Anliegen damit, dass trotz massiver finanzieller Unterstützung, die Landwirtschaft hohe Defizite aufweise und gesteckte Ziele, z.B. im Bereich Ammoniakemission oder der Biodiversität teils massiv verfehlt würden. Die Initiative stösst beim Schweizer Bauernverband auf heftigste Kritik. Für ihn bedeutet die Initiative nichts weniger als eine Bedrohung der Schweizer Produktion und somit der Bäuerinnen und Bauern. Die Initiative schiesse weit über das Ziel hinaus. Der richtige Weg gehe über die Umsetzung diverser Aktionspläne, wie beispielsweise der Nationale Aktionsplan Pflanzenschutz, die getätigten Massnahmen im Bereich Antibiotikareduktion oder dem Ziel mehr Futtergetreide anzubauen. „Vor allem im Geflügelbereich wollen wir besser werden“, erklärte Bauernverbandspräsident Markus Ritter an einer der vielen Anlässen zur Trinkwasserinitiative. Gerade der Geflügelbereich würde bei Annahme der Initiative massiv getroffen, da dieser zu einem grossen Anteil auf Importfutter basiert, das die Initiative unterbinden möchte. Gemäss Initianten werden 70 Prozent der Schweizer Eier und 50 Prozent des Fleisches mit Importfutter erzeugt. Das führe zu überhöhten Tierbeständen.

Viel zu viel Importfutter ermöglicht überhöhte Tierbestände

«Die Geflügel- und Schweinehaltung können wir uns in dem Ausmass ökologisch nicht leisten», erklärte Initiantin Franziska Herren in einem Schweizer-Bauer-Interview. Der hohe Tierbestand würde einen Rattenschwanz von negativen Auswirkungen verursachen, wie viel zu hohe Gülleeinträge oder einen vorbeugenden Einsatz von Antibiotika, mit dem die auf Höchstleistung getrimmten Nutztiere in intensiver Haltung erst möglich sei. Den Initianten ein Dorn im Auge ist, dass Antibiotika immer noch – und dies auch nach der Teilrevision der Tierarzneimittelverordnung im 2016 – prophylaktisch eingesetzt werden darf. «Antibiotika sind zum Heilen da und nicht zur Prophylaxe», argumentieren sie.

Stossrichtung stimmt offene Punkte noch zu klären

Die Kleinbauern-Vereinigung ist sich bewusst, dass die Initiative Bäuerinnen und Bauern stark fordert – die Anliegen der Initianten sind aber berechtigt: Eine Landwirtschaft, die stark von Pestiziden und Importfuttermitteln abhängig ist, ist keine nachhaltige Landwirtschaft und damit keine Landwirtschaft der Zukunft. Viele Bauernbetriebe zeigen bereits, dass es möglich ist, im Sinne der Trinkwasser-Initiative Landwirtschaft zu betreiben. Allerdings wirft der Initiativtext auch Fragen auf. So fordert er, dass Betriebe nur noch hofeigenes Futter verwenden dürfen. Mit einer engen Auslegung des Wortlauts gilt die Vorgabe des betriebseigenen Futters für jeden einzelnen Betrieb. Das würde auch viele Biobetriebe stark treffen. Im Gespräch mit der Kleinbauern-Vereinigung versicherte Franziska Herren jedoch, dass es völlig klar sei, dass Betriebe weiterhin untereinander regional Futtermittel und tierischen Dünger austauschen dürfen. Auch der Verwendung von Nebenprodukten aus der Industrie als Futtermittel stehe nichts im Wege. Es gehe darum, dass die Nährstoffbilanz gesamtschweizerisch wieder ins Gleichgewicht komme.

Die Pestizidfrage steht im Zentrum

Diskussionsstoff liefert auch der im Initiativtext verwendete Begriff Pestizide. Auch die biologische Landwirtschaft setzt gewisse Pestizide ein. Auf die Frage, ob auch diese betroffen wären, antwortet Franziska Herren, dass sie klärende Gespräche mit der Bioszene geführt habe. Laut Forschungsinstitut für biologischen Landbau und Vision Landwirtschaft, werden die natürlichen Pestizide, die auch auf der Blacklist von Greenpeace gelistet sind (Kupfer, Pyrethrin, Spinosin und Paraffinöl) in den nächsten 10 bis 20 Jahren ersetzt werden können, etwa durch resistente Sorten, eine verbesserte Anbautechnik oder auch durch einen Ersatz mit Substanzen, die für Mensch und Umwelt unproblematisch sind. Die Initiative, die eine Übergangsfrist von acht Jahren vorsieht, werde die Ablösung dieser Wirkstoffe unterstützen. Vision Landwirtschaft-Geschäftsführer Andreas Bosshard gesteht an einem Podiumsgespräch zwar ein, dass es schwierige Kulturen gäbe. «Allerdings fliesst in die Forschung nach alternativen Lösungen momentan nur fünf Promille des Geldes.» Er sei überzeugt, dass es Lösungen geben werde, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen könnten.

Nicht nur Bauern zur Verantwortung ziehen

Einen grossen Schwachpunkt sieht die Kleinbauern-Vereinigung auch darin, dass die Initiative nur auf die Bauern abzielt. Andere Pestizidanwender, wie beispielsweise die SBB oder auch Private werden nicht miteinbezogen. Auch die Konsumenten, die zu einem grossen Teil durch ihre Nachfrage an der heutigen Produktion mitverantwortlich sind, z.B. indem sie immer mehr Pouletfleisch und perfektes Gemüse essen wollen, werden bei der Initiative komplett aus der Pflicht genommen. Zudem besteht das Risiko, dass beispielsweise intensive Gemüsebetriebe, die heute sowieso schon fast keine Direktzahlungen bekommen, künftig freiwillig auf die Direktzahlungen verzichten und dafür noch intensiver produzieren werden. Eine grosse Unsicherheit ist, wie die Grossverteiler reagieren werden. Sie machen jetzt schon enorm Druck auf die Produzenten.

Initiativtext bewusst streng abgefasst

Franziska Herren entgegnet, dass die Initiative ein Anfang sei und den Stein ins Rollen bringen werde. Es sei sowohl von staatlicher Seite als auch in der Privatwirtschaft sehr viel Geld für Desinformation vorhanden. So widerspreche beispielsweise die subventionierte Fleischwerbung auch der Ernährungsempfehlung des Bundes, wonach die Schweizer viermal zu viel Fleisch essen würden. Im Zuge der Abstimmungskampagne werde generell Sensibilisierungsarbeit gemacht und Franziska Herren glaubt, dass das die Konsumenten aufrütteln werde. Die Initiative sei eine Chance, dass wenigstens die vielen staatlichen Gelder endlich in eine neue Richtung investiert werden, die dem entspricht, was die Mehrheit der Konsumenten von der Landwirtschaft erwartet. Im Wissen darum, dass bei einer Annahme der Initiative der Gesetzestext vom Parlament noch ausgestaltet werden muss – und die Gefahr bestehe, dass dieser verwässert wird – habe man den Initiativtext klar formuliert, erklärt Franziska Herren. Was man mit der Initiative erreichen möchte und wie man sich die Umsetzung vorstellen könnte, kann im Argumentarium nachgelesen werden. „Dort legen wir dar, dass wir uns für eine konsequente, aber pragmatische Umsetzung stark machen, welcher der Landwirtschaft die nötigen Spielräume gibt, um sich vernünftig anpassen zu können“, führt Franziska Herren aus.

Gegenvorschlag wäre ideale Variante

Die Kleinbauern-Vereinigung begrüsst die Stossrichtung und den Druck, der die Trinkwasser-Initiative macht, würde jedoch einen Gegenvorschlag bevorzugen. Momentan sieht es leider nicht danach aus. Der Bundesrat will keinen, was wiederum nicht bedeutet, dass dieser definitiv vom Tisch ist. Einer der sich für einen Gegenvorschlag stark macht, ist Philippe Schenkel, Landwirtschaftsexperte bei Greenpeace. Er weiss: «Es gibt durchaus Parlamentarier, die einen möchten.» Allerdings werde es gegen die starke Bauernlobby im Parlament schwierig sein, einen Gegenvorschlag durchzubringen. Der Bundesrat hat bis spätestens Anfang 2019 Zeit, seine Botschaft zu verabschieden. Erst danach kommt das Geschäft ins Parlament. Ohne einen Gegenvorschlag wird die Abstimmung frühestens im Frühling 2020 vors Volk kommen. Mit dem Entscheid hin zu einer tatsächlich ressourcenschonenden Landwirtschaft könnten wir mutig voran gehen. Die Initiative mag extrem sein. Doch nimmt sie Probleme der momentanen Landwirtschaft auf, die einer Umkehr bedürfen. Die weitere Diskussion um die Inhalte und einen möglichen Gegenvorschlag bieten die Chance, grundsätzliche Fragen der heutigen Lebensmittelproduktion zu hinterfragen und in eine zukunftsfähige, vielfältige Landwirtschaft zu kehren.

Dieser Artikel erschien in der Ökologo-Ausgabe 3/2018.

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