Regionale Lebensmittel liegen im Trend. Doch was heisst «regional»? Wir besuchen eine Gegend, die dafür bekannt ist: Das Pays-d’Enhaut, Heimat des L’Etivaz, dem ersten mit dem AOP-Gütesiegel zertifizierten Käse der Schweiz, und Teil des Regionalen Naturparks Gruyère Pays-d’Enhaut. Eine Bestandesaufnahme zu den Facetten von Regionalität, und eine Reportage über die Käserei «Le Sapalet», die ihren eigenen Weg gefunden hat, ihre Alp in Wert zu setzen.
Authentisch, regional – nachhaltig?
Regionalität als räumlicher Ansatz ist gleichermassen logisch wie vage. Vor Ort essen, was vor Ort produziert worden ist. Das macht Sinn und war lange selbstverständlich. Inzwischen ist der Markt global und beliebig, und trotzdem – oder gerade deswegen – entsprechen regionale Produkte (wieder) einem Konsumentenbedürfnis. Darauf deuten die vielen Regional-Labels auf dem Schweizer Markt hin. Studien zeigen, dass die regionale Herkunft von Lebensmitteln sogar höher bewertet wird als der biologische Anbau. Doch anders als bei den Bioprodukten, die mit der Bio-Verordnung auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen, gibt es bei den regionalen Labels keine einheitliche Basis.
Regional ist nicht genug
Regional reicht also nicht. Nebst einer klaren geografischen Abgrenzung braucht es inhaltliche Kriterien – Umwelt, Tierwohl, Transportwege, Herkunft der Rohstoffe. Viele Labels bleiben bezüglich dieser Aspekte aber vage. Damit gewisse Standards eingehalten werden, gibt es seit 2017 die Dachmarke «regio.garantie». Sie gibt Richtlinien heraus, nach denen Regionalprodukte zertifiziert werden. So müssen die Produkte zu mindestens 80 Prozent aus regionalen Rohstoffen bestehen und deren Wertschöpfung zu mindestens zwei Dritteln in der Region generiert werden. Diese Richtlinien müssen auch Lebensmittel aus den Pärken erfüllen, wenn sie mit dem Produktelabel der Schweizer Pärke ausgezeichnet werden wollen: Die Rohstoffe müssen aus dem Park stammen und der Wertschöpfungsprozess hauptsächlich im Park stattfinden.
Das Produktelabel der Schweizer Pärke ist ein neues Label. Bietet es tatsächlich einen Mehrwert, oder bevorzugen die Produzentinnen andere, national bekannte Gütesiegel wie AOP und Bio, oder dann kleinere, wie «Pays-d’Enhaut produits authentiques»? «In unserem Park ist das Produktelabel komplementär zu den bestehenden Labels», sagt François Margot, Koordinator des Regionalen Naturparks Gruyère Pays-d’Enhaut. «Es ersetzt diese nicht, sondern ist ein zusätzliches Instrument, das die Produzenten nutzen können. Es unterscheidet sich von rein regionalen Labels durch seine weiter gefassten Werte, zum Beispiel rund um Nachhaltigkeit (Naturschutz und Klima) und regionale Zusammenarbeit, aber auch durch seine nationale Ausstrahlung, die ein grosses Potenzial hat.» Dies habe vielen Produkten neue Absatzmärkte eröffnet. Wichtiger als der direkte Einfluss des Parks auf die regionale Wertschöpfung ist also seine indirekte Wirkung: «Er schafft Sichtbarkeit für Dörfer und Täler, die keine touristischen Destinationen im eigentlichen Sinne sind», erklärt François Margot. Umgekehrt können erfolgreiche Produkte auch für den Park wertvoll sein. Es ist eine gegenseitige Bereicherung.
Ursprung und Terroir – Die Geschichte des L’Etivaz
Ein solches, sehr erfolgreiches und authentisches Produkt ist der L’Etivaz. Seine Geschichte geht weit vor die Parkgründung zurück und ist geprägt von Weitsicht und Vermarktungsgeschick der beteiligten Protagonisten. Die Hartkäserei wird in der Region Pays-d’Enhaut erstmals im 12. Jahrhundert erwähnt. Spezialisiert hat sich die Region im 18. Jahrhundert. Bis in die 1930er-Jahre ging die Käseherstellung in der Region Pays-d’Enhaut stetig zurück. Qualitätsprobleme im Zusammenhang mit schwierigen Lagerbedingungen in den Kellern der Alphütten wirkten sich negativ auf den Absatz aus. 1932 schlossen sich die Alpkäseproduzenten deshalb zu einer Genossenschaft zusammen, 1934 wurde der erste Käsereifungskeller im Dorf L’Etivaz gebaut. Der konstante Produktionsanstieg führte zu einer Vergrösserung der Keller im Jahr 1974, weitere Ausbauten folgten. Heute beträgt die Lagerkapazität des Käsereifungskellers in Etivaz ungefähr 30’000 Laibe
1986 holte die Genossenschaft den gesamten Reifungsprozess in die Wiege der Produktion zurück. 1992 wurde ein sehr strenges internes Reglement eingeführt, das die Milchproduktion, die Herstellung und die sogenannte Affinage regelt. Dieses Verfahren bildete die Grundlage für das Gesuch um Eintragung als «Appellation d’origine contrôlée» (AOC), heute AOP (Appellation d’origine protégeé). 1999 ist der L’Etivaz das erste Produkt in der Schweiz, das sich mit dem Gütesiegel auszeichnen lässt. Gerade rechtzeitig, um in einer Zeit von Rationalisierung das «savoir-faire» und die Qualität des Käses zu sichern. Auf den Märkten erzielt der L’Etivaz heute sowohl im In- als auch im Ausland gute Preise, und mit der geregelten Produktionsmenge verhindert die Genossenschaft Überproduktion.
Der Name L’Etivaz geht auf den französischen Begriff «estivage» (Sömmerung) zurück. Er wird ausschliesslich zwischen dem 10. Mai und 10. Oktober handwerklich auf den Alpen hergestellt. Die Rohmilch wird im traditionellen «Chupferchessi» über dem Holzfeuer zu L’Etivaz AOP verkäst – so ist es im AOP-Pflichtenheft festgelegt. Der fertige Käse bleibt höchstens sieben Tage auf dem Sömmerungsbetrieb, danach kommt er in den Reifungskeller der Genossenschaft. Dort reift er während mindestens 135 Tagen auf Fichtenbrettern und entwickelt dabei die charakteristischen Aromen. Die geschützte Ursprungsbezeichnung bietet also Gewähr, dass vom Rohstoff über die Verarbeitung bis zum Endprodukt alles aus einer klar definierten Region kommt. Und sie legt die Art und Weise fest, wie ein Erzeugnis produziert wird. Dieser ganzheitliche Ansatz integriert regionale Wertschöpfung, handwerkliche Produktion wie auch Kriterien zu Qualität.Regionale Identität als Basis
«In unseren Tälern und auf unseren Alpen haben die AOP Gruyère, L’Etivaz und Vacherin fribourgeois ihren Ursprung», sagt François Margot. Diese Produkte und ihre Erzeuger seien Teil der DNA des Parks. «Wir teilen die gleiche Verbundenheit mit dem Gebiet, und unsere Werte sind die selben:Zusammenarbeit und konstruktiver Dialog.» Wie sehr kann ein Regionaler Naturpark eine neue regionale Identität schaffen? Oder braucht es bereits eine solche gemeinsame Identität, damit ein Regionaler Naturpark überhaupt entstehen kann? «Ich finde diese Frage sehr interessant und die Antwort wird je nach Park sehr unterschiedlich ausfallen», so Margot. An der Grenze der Kantone Freiburg, Waadt und Bern liegend, erstreckt sich der Regionale Naturpark Gruyère Pays-d’Enhaut über vier Regionen, die sich Rücken an Rücken befanden, obwohl sie dieselbe Geografie, landschaftliche und wirtschaftliche Geschichte teilen.
«Der Park ist ein Wagnis: Grenzen zu überschreiten, die zu eng geworden sind. Ermöglicht wurde dies durch den Verweis auf eine gemeinsame Identität, die Grafschaft Greyerz, die bis ins Mittelalter zurückreicht, und die Notwendigkeit, zusammenzuarbeiten, um sich den aktuellen Herausforderungen zu stellen.» Soll Regionalität mehr als nur eine vage geografische Bezeichnung sein, soll sie einen Mehrwert für die Region, aber auch die Natur, die Menschen und Tiere bringen, muss der Begriff mit anderen Kategorien wie Geschichte, lokalem Brauchtum und Ökologie verknüpft werden. Erst dann kann von einem nachhaltigen Ansatz gesprochen werden.
Autorin: Annemarie Raemy
REPORTAGE : KÄSEREI LE SAPALET, ROSSINIÈRE
Schafe als Herausforderung, Käse aus Leidenschaft Wenn man von Greyerz aus die Saane hinauffährt und die Schlucht an der Flussbiegung erreicht, dann öffnet sich die Landschaft, und man hat den Eindruck, in eine andere Welt zu kommen, bergig und geborgen: das Pays-d’Enhaut. Im charmanten Dorf Rossinière angekommen, ist unter anderem das «Grand Chalet» zu bewundern, das Ende des 18. Jahrhunderts zur Lagerung und Vermarktung der Käsesorten des Etivaz-Tals erbaut wurde und als Schweizer Kulturgut von nationaler Bedeutung gilt. Rossinière ist auch der Ausgangspunkt für schöne Wanderungen, wie die Durchquerung des Pays-d’Enhaut bis nach Rougemont, oder die Etappen der Via Alpina in Richtung L’Etivaz oder den Rochers de Naye. Von der Alp über den Käsekeller auf den Teller: Die gesamte Verarbeitung der Milch liegt in den Händen der Familie Henchoz. Fotos: Joël Fuchs; Annemarie Raemy Nischenprodukt, Qualitätsprodukt Unterwegs auf diesem Weg kommt man an der Käserei Le Sapalet vorbei. Der Familienbetrieb, der früher Kuhmilch für den L’Etivaz-Käse produzierte, stellte in den 1990er Jahren auf Schafmilch um. Es waren der Vater und der Onkel von Mikael Henchoz, die etwas anderes machen wollten – etwas, das es sonst noch nicht gab. Schon vorher war die Familie auf der Suche nach einer Alternative zur Kuhmilch zur Schafmilch gekommen. Es war eine grosse Herausforderung, sich auf diesen Wechsel einzulassen, Schritt für Schritt den Stall umzubauen, einen neuen Tierbestand aufzubauen, die ganze Infrastruktur anzupassen und zu lernen, wie mit Schafmilch umgegangen und sie verarbeitet werden muss. Aber es hat sich gelohnt: 2013 wurde Le Sapalet mit dem Agropreis für Innovation in der Schweizer Landwirtschaft ausgezeichnet. Es war nicht einfach und es wurden viele Fehler gemacht, bis die Familienmolkerei zu dem wurde, was sie heute ist: ein Betrieb mit über 1000 Schafen und einer breiten Palette von frischen und gereiften Milchprodukten. «Wir haben mit Produkten für Allergiker, die eine Alternative zur schwer verdaulichen Kuhmilch suchten, begonnen. Heute stellen wir Produkte her, die man liebt für das, was sie sind: wunderbar cremig und mit viel Geschmack», sagt Mikael Henchoz, der den Betrieb vor einigen Jahren mit seinen beiden Brüdern übernommen hat. Anerkennung und Nähe Die Käsesorten wurden von Anfang an in kleinen Geschäften verkauft, die grossen Wert auf lokale Produkte legen und oft vor allem nach Bioprodukten suchen. Um dieser Nachfrage gerecht zu werden, hat Le Sapalet schon früh auf biologischen Anbau umgestellt und ist seit 2002 mit der Bio-Knospe zertifiziert. Außerdem tragen die Produkte von Le Sapalet das Gütesiegel «Pays-d’Enhaut – produits authentiques». Dieses steht seit Langem (schon vor der Gründung des Naturparks) für Ethik und Nachhaltigkeit. Mit dem Naturpark ist das Label «Schweizer Pärke» dazugekommen. Es garantiert, dass der Produzent einen zusätzlichen Beitrag zur Aufwertung der Biodiversität und der Landschaften und/oder zur Nachhaltigkeit des Betriebes leistet. Aber die Labels sind für die Käserei Le Sapalet, die etwa 90 % seiner Produktion direkt über kleine Läden vermaktet, nicht das Wichtigste. Diese Geschäfte legen Wert auf Authentizität, lokale Produkte und Nähe. Sie sind für ihre Kunden die Garanten für die Qualität und die Philosophie, die in den Produkten steckt. «Sie kommen und sehen, wie der Bauernhof und die Käserei funktionieren», sagt Mikael Henchoz. «Sie machen eine Art Mini-Überprüfung in ihrem eigenen Namen.» Und offensichtlich werden sie nicht enttäuscht! Während die Großhändler auf die Labels achten, sind für Le Sapalet, das bereits einen guten Ruf und einen treuen Kundenstamm hat, die Gütesiegel zweitranging. Verwurzelt in der Region Als der Regionale Naturpark Gruyère Pays-d’Enhaut geschaffen wurde, bedeutete dies für Le Sapalet keine wirklich neuen Auflagen. Das Projekt war gut genug gemacht, um die Landwirtschaft von Anfang an zu integrieren. Schon sehr früh hat sich im Regionalen Naturpark eine Dynamik entwickelt, mit zahlreichen Initiativen, an denen sich alle beteiligen konnten, und einer ganzen Reihe von Aktivitäten für ein breites Publikum. Für Le Sapalet ist das sehr positiv, denn es lebt auch dank der Begegnungen und dem Austausch mit den Besuchern, die immer mit Freude empfangen werden, auch wenn die Begegnungen von Sonntagsspaziergängern und Sportlern mit den Herdenschutzhunden manchmal Probleme verursacht. Denn im Pays-d’Enhaut ist auch der Wolf zu Hause. Glücklicherweise hatte Le Sapalet, im Gegensatz zu einigen Nachbarn, bisher nur einen «kleinen» Angriff vor ein paar Jahren zu beklagen. Die vier Schutzhunde, die im Sommer auf die drei Herden verteilt sind, sind– vor allem nachts – wertvoll, aber nicht selbstverständlich. Die Hunde mussten angeschafft und ausgebildet werden, um die Schafe gegen den Wolf zu schützen und gleichzeitig die Besucherinnen und Besucher nicht zu behelligen. Das ist nicht immer einfach, vor allem, wenn Biker am Rand der Weiden vorbeifahren. Es stellen sich viele Fragen, um das Zusammenleben aller so gut wie möglich zu gestalten, denn die Unterstützung der Behörden in dieser Angelegenheit lässt manchmal zu wünschen übrig. Dennoch ist es für Mikael Henchoz wichtig, dass die Menschen den Hof besuchen können. Er ist seine schönste und wichtigste Visitenkarte! Autorin: Anne Berger |
Dieser Artikel erschien in der Agricultura-Ausgabe 3/2021.