Aus der Nebenrolle ins Zentrum

Eine Landwirtschaft ohne Frauen ist undenkbar. In der Schweiz machen sie einen Drittel der landwirtschaftlichen Arbeitskräfte aus. Alle jene Frauen, die in der traditionellen Männerdomäne Landwirtschaft eine aktive Rolle einnehmen, sind aber oft unsichtbar und einige wenig vernetzt. Um dies zu ändern, haben Vision Landwirtschaft und die BFH-HAFL ein gemeinsames Projekt gestartet.

Ein Drittel der Bäuerinnen arbeitet ohne Lohn. Einige Betriebe könnten ohne Gratisarbeit der Frauen finanziell nicht überleben. Foto: Daniel Rihs

Ein Gastbeitrag von Laura Spring, Sandra Contzen und Anna Kröplin

Nur 6 % der Schweizer Landwirtschaftsbetriebe werden von Frauen geleitet, obwohl der Anteil der Abgängerinnen in landwirtschaftlichen Ausbildungen stetig zunimmt (Agrarbericht 2022). Der Grossteil der Frauen in der Landwirtschaft ist mit einem Betriebsleiter verheiratet oder in Konkubinat lebend und und sieht sich gemäss der neusten Studie «Frauen in der Landwirtschaft» des BLW (Agridea 2022) in der Rolle als Bäuerin, Hausfrau und Mutter [1]. Mindestens ein Drittel der Bäuerinnen arbeitet gemäss dieser Studie ohne Lohn in den Betrieben ihrer Ehemänner bzw. Partner mit. Einerseits besteht diese Gratismitarbeit traditionsbedingt und ist eherechtlich bis zu einem gewissen Grad gestützt. Andererseits können einige Betriebe ohne diese Gratisarbeit finanziell gar nicht überleben. Die Studie weist weiter auf den relevanten ökonomischen Beitrag der Frauen für die Familienbetriebe hin. Dieser wird generell jedoch viel zu stark ausgeblendet, auf den Landwirtschaftsbetrieben direkt, in den Ausbildungen und in der Agrarpolitik.

Geschlechter(un)gerechtigkeit in der Landwirtschaft

Laura Spring ist Geschäftsführerin von Vision Landwirtschaft.

Die Forschung im Bereich Geschlechtergerechtigkeit [2] in der Landwirtschaft macht deutlich, dass die «traditionelle» Arbeitsteilung auf landwirtschaftlichen Familienbetrieben geschlechtsspezifisch organisiert ist und folglich zu typisch männlichen bzw. weiblichen Bereichen und Aufgaben führt. In dieser «traditionellen» Arbeitsteilung sind Frauen oft die unbezahlten und unsichtbaren Arbeitskräfte. Obwohl diese «traditionelle» Arbeitsteilung immer noch vorherrscht, haben sich neue Organisationsformen entwickelt. Eine Forschungsarbeit der BFH-HAFL [3] zeigt, dass einige dieser neuen Formen gleichberechtigte Arrangements darstellen, indem die Ehepartnerin beispielsweise als Betriebszweigleiterin selbständig erwerbend ist. Andere Formen sind pragmatisch und einvernehmlich gewählt, aber objektiv ungleich. Dies ist bspw. dann der Fall, wenn die Ehepartnerin neben der betrieblichen Mitarbeit einen gut bezahlten Erwerb ausserhalb der Landwirtschaft hat und vor diesem Hintergrund auf einen Lohn für ihre Betriebsarbeit verzichtet. Sie haben dann eine Altersvorsorge, aber ihr ökonomischer Beitrag auf dem Landwirtschaftsbetrieb bleibt unsichtbar.

Sandra Contzen (l.) ist Dozentin für Agrarsoziologie der BFH-HAFL und leitet die Forschungsgruppe Agrarsoziologie, in der Anna Kröplin (r.) mitarbeitet.

Auch wenn der rechtliche Rahmen für die Landwirtschaft keine ausdrückliche Diskriminierung aufgrund des Geschlechts vorsieht, scheint es, dass die bestehenden Strukturen zu Ungleichheiten führen. Das können die Traditionen bei der Hofübergabe oder Rollenbilder in der landwirtschaftlichen Grund- und Fachbildung sein. Problematisch sind auch gewisse gesetzliche Grundlagen im Zivilgesetzbuch. Die Position der Ehegattin oder des Ehegatten eines Betriebsleiters bzw. einer Betriebsleiterin ist bis heute gesetzlich ungenügend geregelt. In der güterrechtlichen Auseinandersetzung, die bei einer Scheidung zur Anwendung kommt, wird das landwirtschaftliche Gewerbe aktuell zum Ertragswert eingesetzt. Der Ertragswert stützt sich auf eine Einschätzung, was das betreffende Gewerbe bei landesüblicher Bewirtschaftung an Ertrag erwirtschaften kann. Oft bleiben so Wertsteigerungen aber unberücksichtigt, die sich nicht unmittelbar auf den Ertragswert auswirken. Viele Investitionen, welche die Ehegattinnen oder Ehegatten geleistet haben, bleiben unsichtbar. So findet beispielsweise der Lohn aus einem Nebenerwerb, der in den Landwirtschaftsbetrieb geflossen ist, oft keinen Eingang in die Berechnungen.

Im Falle einer Scheidung benachteiligt das insbesondere die mitarbeitende Nichteigentümer-Ehegattin resp. -Ehegatten. Die durchschnittliche Ehedauer bei einer Scheidung in der Landwirtschaft beträgt gemäss einer Untersuchung der BFH-HAFL 21 Jahre [4]. Die Person verlässt den Betrieb also oft nach jahrelangem Einsatz, ohne angemessene Beteiligung am gemeinsam erwirtschafteten Mehrwert. Oft fehlt auch eine eigene Altersvorsorge, da alle gemeinsam erwirtschafteten Ersparnisse wieder zurück in den Betrieb geflossen sind. Das betrifft zwar die Ehepartnerinnen und Ehepartner unabhängig ihres Geschlechts. Aufgrund der Rollenverteilung auf den Landwirtschaftsbetrieben sind jedoch zum überwiegenden Teil Frauen betroffen.

Frauen sichtbar machen, stärken und vernetzen

Die Forschung hat bisher vor allem die Situation derjenigen Frauen betrachtet, die nach klassischen Rollenbildern und Aufgabenteilungen leben. Deshalb ist es wichtig, den Fokus auf diejenigen Frauen in der Landwirtschaft zu richten, die nicht den «traditionellen» Rollen entsprechen und bisher nicht im Zentrum der Geschlechterforschung standen: die Landwirtinnen, die Co-Betriebsleiterinnen, die Quereinsteigerinnen, also die «Praktikerinnen». Sie leisten einen wichtigen ökonomischen Beitrag für die gesamte Landwirtschaft. Doch ihre Leistung wird kaum wahrgenommen, und im Gegensatz zu den Bäuerinnen haben sie keine Lobby und sind nicht vernetzt.

Teil des Projekts werden!

Für die Interviews im Rahmen des Projektes sind Frauen aus der Landwirtschaft aus der Deutsch- und Westschweiz gesucht! Wer ist bereit mit den Forscherinnen der BFH-HAFL über die eigenen Rollen auf dem Landwirtschaftsbetrieb, den ökonomischen Beitrag zum Betrieb und Haushalt und über weitere verwandte Themen zu reden?

Interessierte melden sich bei Anna Kröplin: anna.kroeplin@bfh.ch /
031 848 58 75.
Wir freuen uns auf spannende Gespräche! Mehr Infos

Vision Landwirtschaft und die BFH-HAFL haben daher ein gemeinsames Projekt gestartet mit dem Ziel, die  landwirtschaftlichen «Praktikerinnen» sichtbarer zu machen, zu stärken und zu vernetzen. Damit sind jene Frauen gemeint, die unabhängig ihres Bildungsabschlusses oder offiziellen Status aktiv in die betrieblichen Arbeiten, Entscheidungsprozesse und Verantwortung eingebunden sind.

Die drei Hauptziele des Projektes sind:

  • Erkenntnisse zum ökonomischen Beitrag aller Frauen für die Landwirtschaftsbetriebe und zu deren Stellung im Landwirtschaftssystem zu gewinnen,
  • Massnahmen zur Vernetzung und Stärkung der «Praktikerinnen» zu entwickeln und umzusetzen,
  • die gewonnenen Erkenntnisse über Öffentlichkeitsarbeit und Partnerorganisationen zu verbreiten, um Veränderungen anzustossen

Wir freuen uns mit diesem Projekt Grundlagen zu erarbeiten, um zu mehr Geschlechtergerechtigkeit in der Schweizer Landwirtschaft beizutragen.

 


Fotos aus: “Vom Eiergeld zur AHV. Die Landwirtschaft wird weiblich” von Vanessa Simili. Copyright Daniel Rihs.

Vom Eiergeld zur AHV 

Ob Bauerntochter, Landwirtin oder Quereinsteigerin: Die Karrieren von Frauen in der Landwirtschaft sind in ihrer Vielfalt exemplarisch für unsere Zeit. Das journalistische Projekt von Vanessa Simili lässt diese Frauen zu Wort kommen. Es macht den Wandel sichtbar, welchen die Rolle der Bäuerin gerade erfährt, und sensibilisiert für die Wichtigkeit des weiblichen Parts auf dem landwirtschaftlichen Betrieb. zvg 

Publikation: “Vom Eiergeld zur AHV. Die Landwirtschaft wird weiblich” Sieben Textporträts von Vanessa Simili, Projektinitiantin, mit Fotos von Daniel Rihs.
www.fraueninderlandwirtschaft.ch 

Film Screening: 27. August 2023, Bildungszentrum Wallierhof, 4533 Riedholz.

Virtuelle Ausstellung: QR-Code scannen und Filmporträts der Frauen zu Hause entdecken.

 

[1] Moser, Ruth und Saner, Kathrin (2022). Frauen in der Landwirtschaft. Bericht zur Studie 2022. Lindau: AGRIDEA

[2] Rossier, Ruth und Reissig, Linda (2014). Beitrag der Bäuerinnen für die landwirtschaftlichen Familienbetriebe in der Schweiz. Eine Zeitbudgeterhebung. Agroscope Transfer, Nr. 21.

Droz, Yvan; Ott, Valérie und Reysoo, Renneke (2014). L’agriculteur et la paysanne suisses: Un couple inégal ? Swiss Journal of Sociology, 40, 237–257.

[3] Contzen, Sandra and Forney, Jérémie (2017). Gendered division of labour on the move: a typology of Swiss family farming. Agriculture and Human Values, 34(1), 27-40.

[4] Burren, Christine (2019). Getrennte Wege gehen – Ehescheidungen in der Landwirtschaft. Unveröffentlichte Masterthesis. Zollikofen: BFH-HAFL. Link zum PDF

  • Dieser Artikel erschien in der Agricultura-Ausgabe 3/2023. Autorinnen: Laura Spring, Sandra Contzen und Anna Kröplin

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