«Als Kooperative ist der Umgang mit Rollen einfacher»

Der Biohof Fondli (ZH) wird von der Genossenschaft ortoloco bewirtschaftet, ein Team von fünf Landwirtinnen und Gärtnern ist zuständig für die landwirtschaftliche Produktion. Wie wirkt sich das auf die Arbeitsaufteilung und die Rollenbilder auf dem Hof aus?

Tina Siegenthaler ist Mitbegründerin der Kooperative ortoloco und arbeitet als landwirtschaftliche Fachkraft auf dem Biohof Fondli (ZH)

Tina Siegenthaler ist eine dieser fünf Personen. Gemeinsam mit ihrem Partner ist die Umweltingenieurin und Bio-Landwirtin für die Tiere, den Futter- und Ackerbau, die Obstanlagen, die Biodiversitätsförderflächen und den Wald zuständig. Drei weitere Personen verantworten den Gemüsebau. Zu fünft bilden sie die landwirtschaftliche GmbH, die den Hof im Eigentum hat. Die Übernahme des Hofes durch die Genossenschaft war aus agrarrechtlichen Gründen nicht möglich. Doch die Verbindungen sind eng: Die Entscheide werden gemeinsam getroffen, die Produktion wird vollständig über die Betriebsbeiträge der Genossenschaft finanziert, alle produzierten Lebensmittel werden von den Mitgliedern gegessen und ein Grossteil des Kapitals zur Finanzierung der Immobilien und Infrastruktur stammt von den Genossenschaftsanteilen.

Knackpunkt unbezahlte Arbeit

«Kein Familienbetrieb zu sein, bietet gerade in Bezug auf die Aufgaben- und Rollenverteilung viele Möglichkeiten», betont Tina. So bestehen für die fünf Angestellten Pflichtenhefte mit klaren
Verantwortungsbereichen in der landwirtschaftlichen Produktion. Grundsätzlich sind die Aufgabenbereiche auf dem Fondlihof also geschlechtsunabhängig aufgeteilt. Doch auch hier gibt es Herausforderungen: So fahre z. B. bei der Heuernte, wenn es pressiere, häufiger der Partner von Tina mit dem Ladewagen, weil er mehr Erfahrung mit Maschinen habe – obwohl sie das eigentlich auch könnte. Das Durchbrechen etablierter Muster sei anstrengend und verlange bewussten Einsatz. Doch für Tina ist klar: «Noch wichtiger als die Arbeitsaufteilung im Einzelfall sind die Diskussionen um die bezahlte und unbezahlte Arbeit auf dem Hof.» Denn die Aufgaben in ihren Pflichtenheften sei die bezahlte Arbeit, die auf anderen Betrieben klassischerweise der Bauer übernehme. Arbeiten wie die Administration der Abos oder die Organisation der Anlässe werden durch die Mitglieder der Genossenschaft ehrenamtlich übernommen.

Andere Organisationsstruktur, andere Aufgabenaufteilung

Dennoch funktioniert der Fondlihof hinsichtlich Arbeitsaufteilung und Geschlechterrollen ganz anders als ein Grossteil der landwirtschaftlichen Betriebe. «Die Landwirtschaft ist heute sehr stark in einer industriellen Logik verhaftet, welche die vorherrschenden Geschlechterstereotypen stark begünstigt», so Tina. Doch die pflegende und sorgende Arbeit gehöre ebenso dazu, denn die Leistungen und Erträge könnten nicht beliebig gesteigert werden. Alternative Ansätze ausserhalb der Wachstumslogik, wie die solidarische Landwirtschaft, sind nach wie vor in der Nische zu finden. Tina sieht Handlungsbedarf bei der Öffentlichkeitsarbeit: Alternative Betriebe müssten stärker wahrgenommen werden. Zudem müsste in der Bildung ein stärkerer Austausch zwischen den Ausbildungen zur Bäuerin bzw. zum Landwirten gepflegt, und die Agrarpolitik sollte zur Steuerung genutzt werden. Denn für Tina steht fest: «Ohne demokratisch ausgehandelte  Regulierungen und gesetzliche Rahmenbedingungen passiert der Wandel nicht oder zumindest viel zu langsam.» Schliesslich brauche es aber auch eine Verbesserung der ökonomischen Situation: Solange ein Viertel aller Betriebe unter dem Existenzminimum lebten, sei nachvollziehbar, dass Altersvorsorge oder Versicherungsleistung nicht einbezahlt würden.

  • Dieser Artikel erschien in der Agricultura-Ausgabe 3/2023. Autor: Stephan Tschirren

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