Bonde- og Småbrukarlag – Die Stimme der Kleinbäuer:innen in Norwegen

NORGE BLOGG #7 // Anton Langeland ist Generalsekretär des Norsk Bonde- og Småbrukarlag (NBS), dem Norwegischen Bauern- und Kleinbauernverband. Der NBS setzt sich gemeinsam mit seinen 6500 Mitgliedern ein für mehr Hände in der Landwirtschaft, bessere Einkommen und einen höheren Selbstversorgungsgrad. Ein Gespräch über die norwegische Landwirtschaft und aktuelle Herausforderungen.

Anton Langeland, der Generalsekretär des Norwegischen Bauern- und Kleinbauernverband. Foto: NBS, 2024

Anton, was ist die Geschichte des NBS?
Der Norsk Bonde- og Småbrukarlag (Norwegische Bauern- und Kleinbauernverband) ist 1913 aus einer Landwirtschaftspolitik entstanden, welche die kleinen Bauernhöfe nicht unterstützt hat. Mehr Respekt für Mensch, Natur und Tiere in der Lebensmittelproduktion sind unsere Werte. 1920 gab es 356’000 Menschen, die in der Landwirtschaft arbeiteten, heute sind es noch 37’000. Das ist eine dramatische Veränderung. Wenn sich die Landwirtschaft weiterhin um die Natur, deren Nutzung und das Leben in allen Teilen Norwegens kümmern soll, brauchen wir dafür genügend Menschen. Um eine Gemeinschaft aufrecht zu erhalten, braucht es mehr als einen Bauern.

Was ist speziell an der norwegischen Landwirtschaft?
Die politischen Leitlinien und offizielle Position der Regierung lauten: Wir wollen überall im Land Landwirtschaft. Das ist etwas Besonderes in Norwegen und ein Unterschied zu anderen skandinavischen Ländern wie Schweden, wo sich die Landwirtschaft auf die fruchtbaren Gebiete im Süden konzentriert. Zudem ist der Tierschutz in Norwegen ein wichtiges Thema: Unsere Tiere sollen ein gutes Leben haben. So verwenden wir möglichst wenig Antibiotika. Dazu herrscht Konsens, trotzdem stellt es uns vor Schwierigkeiten.

Kannst du mir ein Beispiel nennen?
Bis 2034 müssen alle norwegischen Nutztiere in Freilaufställen gehalten werden. Diese Vorschriften bedingen bauliche Anpassungen – oder die Betriebsaufgabe. Wegen der Wirtschaftslage sind viele Höfe allerdings selbst mit speziellen Investitionsbeihilfen nicht in der Lage, die dafür nötigen Mittel aufzubringen. Dies wird einen dramatischen Wandel in der norwegischen Landwirtschaft bedeuten. Wir brauchen entweder Geld für die Investitionen, oder mehr Zeit, um die Vorgaben umzusetzen, z.B. dann, wenn das Gebäude ohnehin saniert oder ersetzt werden muss. Der NBS hat eine Umfrage durchgeführt: 70 % der Betriebe, die bis 2034 investieren müssten, haben gesagt, dass sie aufhören werden.

Eine Besonderheit des norwegischen Modells sind auch die jährlichen Agrarverhandlungen. Wie laufen diese ab?
In Norwegen gibt es zwei Bauernverbände: Uns und den Norges Bondelag (Norwegischer Bauernverband). Dieser ist mit 59’723 Mitgliedern zwar wesentlich grösser, bei den jährlichen Verhandlungen mit dem Staat über das Agrarabkommen sind wir jedoch gleichberechtigte Partner. Allerdings müssen wir uns auf eine politische Position einigen, die wir der Regierung vorlegen. Unsere unterschiedlichen Werte machen das anspruchsvoll. Der Norges Bondelag möchte weniger, aber grössere Betriebe und mehr Produktion. Wir wollen mehr Mittel für Werte und Kultur. Wir sind also Kooperationspartner, aber auch Konkurrenten. Trotzdem: Diese beiden Organisationen zu haben, ist eine Stärke des norwegischen Modells. Es ermöglicht uns, über die richtigen Themen zu sprechen, denn es gibt immer jemanden, der die kritische Frage stellt. Der Jahresrhythmus der Verhandlungen hat allerdings Nachteile. Wir analysieren zwar die Politik und können aufzeigen, wo diese nicht mit den Absichtserklärungen der Regierung übereinstimmt. Wenn die Bäuerinnen und Bauern allerdings trotz vieler Arbeitsstunden nicht von der Landwirtschaft leben können, müssen wir in den Verhandlungen Prioritäten setzen. Wenn du von Jahr zu Jahr nur versuchst, wieder einen Bereich zu retten, werden die langfristigen Themen immer aufgeschoben.

Ist ökologischer Landbau in Norwegen von Bedeutung? Mein Eindruck ist, dass Bio keinen grossen Stellenwert hat. 
Das politische Ziel war, dass bis 2020 15 % der Lebensmittelproduktion und des Verbrauchs ökologisch sein sollen. Doch heute werden weniger als 5 % der Flächen ökologisch bewirtschaftet, und der Umsatz mit ökologischen Lebensmitteln macht schätzungsweise nur wenige Prozent des Gesamtumsatzes aus. Ökologische Betriebe müssen mehr Proteine importieren. Die Landwirte benutzen dies als Argument dafür, den Betrieb nicht umzustellen. Als das ökologische Programm eingeführt wurde, konnten die Bäuerinnen etwas mehr Geld verdienen, aber jetzt ist das Gegenteil der Fall. Ein «traditioneller» Landwirt verdient besser, die zusätzlichen Subventionen reichen nicht mehr aus, um die Kosten auszugleichen.

Thema Hofnachfolge: Wo liegen hier die Herausforderungen?
Das Durchschnittsalter der Landwirte in Norwegen liegt bei 65 Jahren. Wir stehen vor einem grossen Problem. In Norwegen erhalten Bauern Subventionen, bis sie die Landwirtschaft aufgeben, es gibt keine Altersbeschränkung. Auf Grund der mangelnden Hofnachfolge werden Betriebe so oft über das Rentenalter hinaus bewirtschaftet, mit minimalen Investitionen. Dies hängt auch mit der schlechten wirtschaftlichen Lage des Agrarsektors zusammen. Der Lebensstandard hat sich in den letzten 50 Jahren verändert, aber die Landwirte und ihre wirtschaftliche Entwicklung nicht. Das ist einer der Hauptgründe dafür, dass das Investitionsniveau niedrig ist, und auch der Hauptgrund, warum potenzielle Nachfolger ein anderes Leben wählen. Heutzutage muss man bereit sein, einen zusätzlichen Job anzunehmen, um den gleichen Lebensstil wie Menschen mit «normalen» Jobs zu haben.

Wie geht es weiter, wenn sich keine Nachfolge findet?
Wenn man einen Bauernhof besitzt, gibt es in Norwegen zwei Vorgaben: Man muss auf dem Hof leben und das Land bewirtschaften. Wenn eine Bäuerin den Hof aufgibt, verpachtet sie das Land deshalb meist an einen Nachbarn. Das funktioniert für die grösseren Höfe und Felder in zentraleren Gebieten. Aber in den weiter entfernten Gebieten, wie im nördlichen Teil Norwegens, und dort, wo das landwirtschaftliche Land in kleine Stücke aufgeteilt ist, gibt es oft niemanden, der das Land pachten will. In diesen Fällen drücken die Behörden oft ein Auge zu. Dann liegt das Land brach. Wir haben inzwischen mehr als 140’000 ha Ackerland, das nicht mehr für die Landwirtschaft genutzt wird. Für Norwegen, wo es ohnehin wenig fruchtbare Fläche gibt, ist das dramatisch.

 

Das norwegische Modell
Die norwegische Agrarpolitik verfolgt vier Hauptziele: (1) Ernährungssicherheit, (2) Erhalt der Landwirtschaft im ganzen Land, (3) Steigerung der Wertschöpfung entlang der gesamten Lebensmittelkette und (4) eine nachhaltige Landwirtschaft mit geringen Treibhausgasemissionen. In den jährlichen Agrarverhandlungen zwischen Bauernorganisationen und Regierung werden Produktpreise, die Höhe der Haushaltsmittel für den Agrarsektor und deren Verteilung ausgemacht. In Norwegen sind die Märkte für Milch, Fleisch und Getreide durch drei grosse bäuerliche Genossenschaften reguliert. Sie sind verpflichtet, die Erzeugnisse aller Landwirte einzusammeln und die Lebensmittelindustrie mit Rohstoffen zu versorgen.

 

  • Dieser Artikel erschien in der Agricultura-Ausgabe 1/2024. Interview: Annemarie Raemy

News und Berichte zum Thema

Bonde- og Småbrukarlag – Die Stimme der Kleinbäuer:innen in Norwegen

NORGE BLOGG #7 // Anton Langeland ist Generalsekretär des Norsk Bonde- og Småbrukarlag (NBS), dem Norwegischen Bauern- und Kleinbauernverband. Der NBS setzt sich gemeinsam mit seinen 6500 Mitgliedern ein für…

Kolumne aus dem Nationalrat: Sägen wir nicht am Ast, auf dem wir sitzen!

Anfang Jahr haben die Bauernproteste auch die Schweiz erreicht. Die Gruppe «Révolte agricole suisse», die sich in der Romandie formiert hat, forderte höhere Produzentenpreise und nahm damit den Detailhandel direkt…

Bäuer:innen verklagen Bund wegen Untätigkeit im Kampf gegen den Klimawandel

Heute Morgen haben Bäuerinnen und Bauern sowie diverse bäuerliche Organisationen, darunter auch die Kleinbauern-Vereinigung, vertreten durch die Anwält:innen für das Klima, beim UVEK eine Klage eingereicht. Sie fordern die Behörden…