NORGE BLOGG #6 // Für Weihnachten lokal einkaufen? – Auch nach fünf Monaten in Trondheim eine kleine Herausforderung. Nicht nur wegen des Angebots, sondern auch wegen der Strukturen: Essen wird in Norwegen hauptsächlich in Supermärkten eingekauft. Doch wir haben Initiativen entdeckt, die ein Angebot über die Gårdsbutikker (Hofläden) hinaus geschaffen haben. Denn auch in Norwegen wächst das Bewusstsein für Lokalmat, lokale Lebensmittel.
Direktvermarktungs-Initiativen in Norwegen: REGO-ringen (Bilder 1-3) und RÅGO (Bilder 4-6). Fotos via rekonorge.no/raago.no
Norwegerinnen und Norweger kaufen hauptsächlich in Supermärkten ein. Dies hat einerseits mit ihrem Preisbewusstsein zu tun – Niemand will für Essen (zu) viel Geld ausgeben. Andererseits gibt es in praktisch jedem etwas grösseren Ort eine Filiale einer der diversen Supermarktketten. «Tante-Emma»- und Spezialitätenläden, wie wir sie kennen, haben wir kaum gefunden – auch nicht in den Städten. Dafür gibt es in einigen Supermärkten Abteilungen mit Lokalmat, lokalem Essen. Das ist charmant und praktisch, jedoch auch etwas zufällig, was dann effektiv angeboten wird.
In Norwegen sind die Märkte durch die grossen bäuerlichen Genossenschaften für Milch, Fleisch und Getreide reguliert. Deren Zentralisierung in den letzten Jahren hat sich nicht positiv auf die lokale Lebensmittelproduktion ausgewirkt, schreibt der Norsk Bonde- og Småbrukarlag NBS (Norwegischer Bauern- und Kleinbauernverband). Die Distanz zwischen den Genossenschaften und den Bäuerinnen und Bauern werde immer größer. Wie die Kleinbauern-Vereinigung in der Schweiz setzt sich der NBS für faire Preise und kurze Wege bei der Vermarktung ein. «Immer mehr Menschen scheinen ein besseres Bewusstsein dafür zu haben, welche Lebensmittel sie essen wollen und wie sie produziert wurden», erzählt mir der Geschäftsführer Anton Langeland. «Das ist ein Wandel, und er ist positiv. Wir stehen hier allerdings erst am Anfang.»
REKO NORGE: Lokalmat – helt uten mellomledd
Der NBS war und ist die treibende Kraft hinter dem Projekt REKO NORGE: Lokale Lebensmittel – ganz ohne Zwischenhändler. Die Idee: ein Vertriebskanal für lokal produzierte Lebensmittel, direkt von den Bäuerinnen und Verarbeitern zu den Kundinnen und Kunden. Das Konzept ist von der französischen Gemeinschaftsinitiative AMAP, Associations pour le maintien d’une agriculture paysanne, inspiriert, und ist über Finnland nach Norwegen gekommen: Kundinnen bestellen über die gemeinsame Facebook-Seite des Rings vor, was die Bauern dort anbieten. Die Lieferung der Ware erfolgt durch die Bäuerinnen an einem vereinbarten Lieferort und Tag, in der Regel alle zwei Wochen. Bezahlt wird vorab online. «Für uns ist das ideal», erzählte mir die Bäuerin Marit vom Hof Øfsti søndre (s. Norge Blogg #5). «So wissen wir im Voraus, welche Produkte und in welcher Menge wir wann liefern können.» Doch es gibt auch kritische Stimmen und offene Fragen. Unter anderem wird kritisiert, dass Transport- und Logistikkosten im Verkaufspreis nicht eingerechnet werden. Zudem generiert dieses System viel individuellen Verkehr. Aktuell wird auch diskutiert, ob Facebook die richtige Plattform ist, um die Ringe zu koordinieren und die Geschäfte abzuwickeln.
RÅGO – Trondheims Kjøkkenhage
Eine sympathische Initiative ist auch das Unternehmen RÅGO – Trondheims Küchengarten. Es liefert lokale Delikatessen und frisches Gemüse aus dem ganzen Trøndelag in Form von Gemüse- oder Lunchboxen direkt nach Hause, in der Regel wöchentlich. Die Boxen sind in verschiedenen Grössen und Variationen erhältlich oder können individuell zusammengestellt werden. Eine Besonderheit ist die RÅGO middag-Box, die fertige Menüs enthält. Auf der Website gibt es zudem Rezepte als Inspiration, wie saisonales Gemüse gekocht werden kann. Hinter dem Unternehmen RÅGO steht der Bauernhof Myraunet Gård auf der Halbinsel Frosta im Trondheimsfjord, wo der Gemüseanbau Tradition hat. Mit RÅGO wollte Gustav Myraune, der Betriebsleiter, in erster Linie ein zusätzliches Einkommen generieren, um vom Hof leben zu können, wie er uns erzählt. Heute hat er Angestellte, und der ehemalige Kuhstall und weitere Gebäude werden für die Logistik und Verpackung der Gemüseboxen genutzt. Das Konzept überzeugt und ist sympathisch. Gustav ist überzeugt, dass er mit seinem Angebot bisher erst die «Early Adopters» erreicht hat. Die Idee hat also noch Wachstumspotenzial.
Und was ist mit Bio?
Was uns beim Einkauf sowohl in den Hofläden, beim REKO-ring als auch RÅGO auffällt: Lebensmittel in Bio-Qualität sind kaum ein Thema. Zwar gibt es in den Supermärkten eine Bio-Linie, doch die Produkte kommen fast alle aus dem Ausland. «Im Vergleich zu vielen anderen europäischen Ländern sind der ökologische Landbau und der Verkauf ökologischer Produkte in Norwegen wenig verbreitet. Weniger als 5 % der Landwirtschaft wird ökologisch betrieben», erklärt Peter Møller von Debio, dem norwegischen Label für biologische Produkte, das auf der EU-Bio-Verordnung basiert. Es fehlt aber nicht nur das Angebot, sondern auch die Nachfrage. Die Norwegerinnen und Norweger haben grosses Vertrauen in ihre Landwirtschaft und sehen keinen Grund, Bio zu kaufen. Kriterien wie Tierwohl und Regionalität werden höher gewichtet. Diese Erfahrung macht auch die Betriebsleiterin von Høstadsand Gård, Sissel Langørien (s. auch Norge Blogg #1). Ihren Kundinnen sei viel wichtiger, dass die Milch naturbelassen sei, das Futter frei von Soja, und dass die Kühe auf der Weide sein dürften. Das seien viel bessere Verkaufsargumente als das Debio-Label.
Auf Weihnachten haben wir uns bei RÅGO eine jule-Box, Weihnachtsbox, zusammengestellt – mit saisonalem Gemüse, lokalen Delikatessen und natürlich den in Norwegen traditionellen Weihnachtsprodukten, die extra für die Festtage hergestellt werden: juleøl (Bier) für uns, julebrus (Sprudel) für die Kinder, julepølse (Wurst) und julebakst, Weihnachtsgebäck.
Die Box stand gestern vor der Türe. Nun sind wir bereit für die Festtage. God Jul!
Annemarie Raemy lebt und arbeitet mit ihrer Familie von August bis Dezember 2023 in Trondheim. Im «Norge Blogg» berichtet sie während dieser Zeit über Land, Leute und Landwirtschaft in Norwegen. Sie ist Teil des Teams der Geschäftsstelle der Kleinbauern-Vereinigung |