Microfermes: Ein Raum zum Leben

Klein, aber oho! Mikrobetriebe bewirtschaften kleinste Flächen und erschliessen neue Horizonte: mit wenig Maschinen und viel Handarbeit, mit Respekt vor den Ressourcen und sozial verankert, im Streben nach Erfüllung und Autonomie.

Mikrobetriebe gibt es sowohl in Städten als auch auf dem Land, z.B. mit breit gefächertem, bio-intensivem Gemüseanbau. Panier à 2 roues, Etagnières (VD), Photo: Alice Dind, FiBL

Das Phänomen gewinnt in der Westschweiz an Bedeutung, ähnlich wie es in anderen französischsprachigen Regionen schon seit Jahren passiert. Bereits 2014 fesselte Stefan Sobkowiak die Aufmerksamkeit der Teilnehmenden, die zu seinem Treffen im Bildungszentrum in Marcelin VD gekommen waren, als er über die Rentabilität seines weniger als 5 Hektar grossen Permakultur-Obstgartens in Québec (Kanada) sprach. Dann feierte 2019 der Dokumentarfilm «Tomorrow – Die Welt ist voller Lösungen» einen grossen Publikumserfolg und machte die Ferme du Bec Hellouin in der Haute-Normandie (Frankreich) bekannt. Studien der INRA und des AgroParisTech bestätigten die Effizienz dieses sehr intensiven Gemüseanbaus auf kleinen Flächen und kamen zum Schluss: «Mit fast nur Handarbeit ist es möglich, auf einer kleinen Fläche viel zu produzieren.»

Erfinderische und dynamische Bewegung

Hélène Bougouin, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Forschungsinstitut für biologischen Landbau FiBL, gründete 2019 die Interessengruppe «Mikrobetriebe und Permakultur», um Mikrobetriebe zu beraten und zu erforschen. Allein im Kanton Waadt, in dem es 3000 landwirtschaftliche Betriebe gibt, hat die Forscherin 30 Mikrobetrieb gezählt, die nicht in die offiziellen landwirtschaftlichen Strukturen eingebettet waren – entweder weil diese zu klein waren, nicht die richtige Rechtsform hatten oder weil sie nicht als landwirtschaftliche Betriebe anerkannt wurden. Die Interessengruppe umfasst mittlerweile 150 Personen, und es entsteht eine richtige Bewegung: So sind in der Westschweiz vor kurzem spezielle Ausbildungen entstanden, wie z.B. u-farming.ch. Unter dem Namen «Terre Durable» wurde auch ein Schweizer Label für Mikrobetriebe geschaffen, für das die Anforderungen des ÖLN und des Bio-Labels befolgt werden müssen, ohne dass man diese Labels unbedingt besitzt sowie spezifische Anforderungen, die vom Anbau bis zum Verkauf reichen. Das Réseau Terreau Microfermes pour la Romandie (RéTeMi Romandie) wurde als Plattform für die Mikrobetriebe ins Leben gerufen.

Was ist eine Mikrobetrieb?

Der Grundsatz des Collectif des Carottes Courbes (VD): Verantwortungsbewusst Land und Beziehungen kultivieren, sich gegenseitig unterstützen, Vertrauen aufbauen, inspirieren. Photo: Anne Berger

In der Schweiz gibt es keine anerkannte Definition, keine Kriterien und keinen besonderen Status für Mikrobetriebe. Allerdings existieren eine Reihe von mehr oder weniger gemeinsamen Charakteristiken, so Hélène Bougouin. Die Grössenkriterien, wie sie Kevin Morel in Frankreich definiert hat (z.B. 1,5 ha Anbaufläche pro Vollzeitäquivalent), sind auf Grund der speziellen Topografie und den sehr unterschiedlichen Betriebsstrukturen nicht auf die Schweiz übertragbar. Der Gemüseanbau ist ebenfalls nur bedingt charakteristisch, da er bei weitem nicht der einzige Produktionszweit oder gar die einzige Aktivität (didaktisch, sozial, kulturell…) ist. Mikrobetriebe können auf die Produktion ausgerichtet und rentabel oder Teil eines pädagogischen Projekts sein, das über andere Wege finanziert wird. Neben den «klassischen» Betrieben sind es oft Quereinsteiger und Neu-Landwirtinnen, die sich selbständig machen, aber auch das nicht ausschliesslich.

Vielfalt, Quelle von Leben und Widerstandskraft

Es sind starke Werte, welche die Mikrobetriebe vereinen: Anpassung an lokale Bedingungen, sorgfältiger Umgang mit den Ressourcen, keine chemischen Hilfsmittel, keine oder nur geringe Mechanisierung, Wertschätzung der Handarbeit. Dazu innovative Projekte, die sich von verschiedenen Anbaumethoden auf der Suche nach Erfüllung und Autonomie inspirieren lassen, sowie die Einbindung in ein soziales Gefüge und in Verkaufskanäle, die nahe an den Verbraucherinnen sind. Im Grunde genommen gleicht kein Mikrobetriebe dem anderen. Die Strukturen reichen von Einzelpersonen über Familienprojekte bis hin zu allen Arten von Vereinsmodellen, Genossenschaften, Kollektiven und verschiedenen Formen der Unternehmensführung. Permakultur, intensiver Bio-Gemüseanbau, Gemüsegärten – auf der Suche nach Erfüllung und einem schonenden Umgang mit den Ressourcen sind die Wege vielfältig.

Geschlossene Kreisläufe und doch weltoffen

Microferme La Vuardélaz (VD), Photo: Anne Berger

Der Mikrobetrieb Micro Ferme La Vuardélaz VD wird von einer Einzelperson geführt, einer ausgebildeten Winzerin, die seit ihrer Kindheit mit der Gegend verbunden ist, zu der sie mit einigen Ausflügen und Umwegen zurückgekehrt ist. Drei Jahre lang beobachtete sie ihre zwei Hektaren und entwickelte einen Wirtschaftsplan nach den Grundsätzen der Permakultur, um Mikroklima, Biodiversität und geschlossene Kreisläufe zwischen Tieren und Pflanzen zu schaffen und autonom zu werden. Da sie dem Ganzen Zeit lassen wollte, um ohne finanziellen Druck ein Gleichgewicht ohne Inputs und Abfälle zu erreichen, hat sie zusätzlich eine Hektare Weinanbaufläche in Steillage dazu gepachtet, um mit ihren Weinen ein zusätzliches Einkommen zu generieren und so gänzlich autonom zu werden. Sie bietet Weine, Qualitätsfleisch, Obst und Gemüse sowie verarbeitete Produkte an, um einen höheren Mehrwert zu generieren und in einigen Jahren keinen Abfall mehr zu produzieren.

Ökologisch verantwortliches und gemeinschaftliches Projekt

Ferme du Fond de l’Etang (GE), Photo: Anne Berger

Die Ferme du Fond de l’Etang im Kanton Genf ist ein gemeinnütziger Verein, der gegründet wurde, um seine Mitglieder mit nachhaltig und ökologisch produziertem Obst und Gemüse zu versorgen. Als sich zeigt, dass die Ernte über den eigenen Bedarf hinausging, wurden lokale Absatzkanäle gesucht und aufgebaut. Um die gesamte Ernte zu verwenden, werden einige Produkte auch weiterverarbeitet. Auf einer Fläche von 2500 m2 betreibt der Verein Gemüseanbau nach agrarökologischen Grundsätzen. Eine breite Palette zusätzlicher Aktivitäten wird angeboten: Kurse zu Permakultur, Workshops für Kinder und kulturelle Veranstaltungen. Lebensfreude, Achtsamkeit, Experimentieren und Bewusstseinsbildung sind wichtige Bestandteile dieses Projekts mit gemeinschaftlichem und sozialem Charakter, das derzeit auf ehrenamtlicher Basis funktioniert.

Mikrobetriebe rationalisieren die Arbeit auf kleinster Fläche. Dies ermöglicht eine intensive, aber qualitativ hochwertige Handarbeit mit ausgezeichneter Kenntnis der zur Verfügung stehenden Flächen. Sie verdichten den Anbau, unter anderem von Gemüse, und stützen sich dabei auf die natürlichen Ökosystemleistungen. Sie bevorzugen kurze Wege und verfolgen das Ideal, sich vom bestehenden Produktionssystem zu lösen und mehr Wertschätzung für die menschliche Arbeit zu schaffen.

 

Dieser Artikel erschien in der Agricultura-Ausgabe 2/2022. Autorin: Anne Berger

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