Im Frühling 2021 ist beim Preisüberwacher Stefan Meierhans eine Meldung eingegangen, die geltend machte, dass die Endkundenpreise für Bio-Lebensmittel missbräuchlich seien. Deshalb leitete er eine Vorabklärung zu den Preisen von Bio-Lebensmitteln im Detailhandel ein. Im Gespräch mit Agricultura legt er seinen Standpunkt und die verschiedenen Handlungsmöglichkeiten dar.

Stefan Meierhans, welches waren die wichtigsten Ergebnisse Ihrer im Januar 2023 veröffentlichten Untersuchung über die Gewinnspannen bei Bio-Produkten und warum haben Sie zusätzliche Daten angefordert?
Die Vorabklärung hat ergeben, dass die Bruttomargen, d.h. die Differenz zwischen dem Verkaufspreis und dem Einkaufspreis, bei Bio-Produkten in der Regel höher sind als bei konventionellen Lebensmitteln. Dabei konnte nicht ausgeschlossen werden, dass dieser «Margenaufschlag» bei Bio-Produkten nicht auf höhere Vertriebskosten zurückzuführen ist, sondern damit zusammenhängen könnte, dass der Preiswettbewerb im Schweizer Lebensmittel-Detailhandel nicht wie gewünscht funktioniert. Aus diesem Grund habe ich eine Marktbeobachtung zum Schweizer Lebensmittel-Detailhandel eingeleitet, die sich nicht auf die Preise von Bio-Produkten beschränkt. Im Zentrum dieser Marktbeobachtung steht die Frage, ob es im Schweizer Lebensmittel-Detailhandel einen wirksamen Preiswettbewerb gibt. Insbesondere soll geklärt werden, ob die Preise als angemessen beurteilt werden können. Die laufende Untersuchung konzentriert sich auf Preise, Gewinnspannen und Gewinne auf Einzelhandelsebene und befasst sich nicht mit den Preisen am Anfang der Wertschöpfungskette.
Wenn sich die Gewinnspannen der grossen Grossverteiler als missbräuchlich erweisen sollten, was können Sie dann tun, um den Konsument:innen und den Produzent:innen zu helfen?
Sollte die Marktbeobachtung ergeben, dass der Preiswettbewerb im Schweizer Detailhandel nicht wirksam ist und die Schweizer Lebensmittel-Detailhändler unangemessen hohe Preise durchsetzen, würde ich eine einvernehmliche Regelung mit den Schweizer Detailhändlern anstreben, die auf eine Reduktion der Preise abzielt. Ich kann mich mit Preisen befassen, die im Vergleich zu einer normalen Wettbewerbssituation zu hoch sind, aber nicht mit Preisen, die den Produzent:innen bezahlt werden und die zu niedrig sind. Wenn der Gewinn angemessen ist, der Endpreis also nicht missbräuchlich ist, dann ist es nicht meine Aufgabe, dies zu untersuchen. Für einen möglichen zu starken und nach unten gerichteten Druck auf die an die Produzenten gezahlten Preise gibt es hingegen die neue Kartellgesetzbestimmung von 2022 über die «relative Marktmacht». Diese Bestimmung gilt auch für mich. Ein Eingreifen – sei es durch die Wettbewerbskommission (WEKO) oder mich – ist nur möglich, wenn wir über Informationen verfügen, die auf eine potenziell rechtswidrige Situation hinweisen könnten, und zwar von Seiten der betroffenen Personen und Unternehmen, was derzeit nicht der Fall ist. Die Landwirte, mit denen ich gesprochen habe, sagen mir jedoch, dass sie es nicht wagen, eine offizielle Beschwerde einzureichen. Sie sind zu sehr von diesem Machtverhältnis auf dem Markt abhängig. Der Wunsch, im Falle einer Anzeige Anonymität zu garantieren, ist weit verbreitet. Oft kann ich dies garantieren, weil meine Fälle grösstenteils informell sind. Für die WEKO ist dies schwieriger, zumindest ab einem bestimmten Stand eines Dossiers. Wenn diese relative Marktmacht nicht toter Buchstabe bleiben soll, muss über neue Lösungen nachgedacht werden, damit sich die Betroffenen sicher an die Behörden wenden können.
Wie kann die Preistransparenz entlang der gesamten Kette verbessert werden? Kann die parlamentarische Initiative «Für eine wirksame Preisbeobachtung in der Lebensmittelkette» eine interessante öffentliche Debatte in Gang setzen?
Ich habe mich immer für mehr Transparenz in Bezug auf Preise und Margen eingesetzt, die genannte parlamentarisch Initiative beurteile ich deshalb als Chance. Bei ihrer Umsetzung ist jedoch darauf zu achten, dass von einer zusätzlichen Transparenz nicht nur die Anbieter entlang der Wertschöpfungskette, sondern auch die Konsumentinnen und Konsumenten profitieren. Es sollte verstärkt darauf geachtet werden, dass den Konsumentinnen und Konsumenten Preisinformationen in einer Art und Weise zur Verfügung gestellt werden, die es Ihnen ermöglicht, ihr Einkaufsverhalten zu optimieren und bestehende Einsparpotentiale zu realisieren. Dadurch werden die Konsumentinnen und Konsumenten befähigt, ihren Beitrag für einen funktionierenden Preiswettbewerb zu leisten. Dieser Aspekt kam in den Transparenz-Diskussionen bisher zu kurz.
Sprechen wir über die Ziele der Schweiz für eine widerstandsfähigere und nachhaltigere Nahrungsmittelproduktion. Behindern zu hohe Gewinnspannen bei Bioprodukten im Vergleich zu konventionellen Produkten einen notwendigen Wandel der landwirtschaftlichen Praktiken?
Wie meine Vorabklärung zu den Preisen von Bio-Lebensmitteln gezeigt hat, ist der Mehrpreis von biologischen Lebensmitteln die Hauptbarriere für den Biokonsum. Konsumentinnen und Konsumenten akzeptieren Preisaufschläge zwischen 10 und 30 Prozent. Sind die Preise für Bio-Lebensmittels im Vergleich zu ihren konventionellen Pendants zu hoch, verzichten sie auf den Biokonsum. Wie Sie richtig ausführen, läuft dies unseren Nachhaltigkeitszielen zuwider.

Wie kann man in der Landwirtschaft einen fairen und vertretbaren Preis definieren, in einem System, in das viel öffentliches Geld fliesst?
Ein funktionierender Preiswettbewerb stellt sicher, dass Preise nicht missbräuchlich, also weder zu hoch noch zu tief, sind. Wenn Wettbewerbsprobleme dazu führen, dass Konsumentinnen und Konsumenten zu hohe Preise bezahlen und Landwirtinnen und Landwirte zu tiefe Preise erhalten, muss dieses Problem mit Instrumenten der Wettbewerbspolitik angegangen werden. Es ist jedoch wichtig zu verstehen, dass Preise nicht als missbräuchlich bezeichnet werden können, wenn der Wettbewerb funktioniert. Es kann jedoch sein, dass ein funktionierender Wettbewerb zu Preisen führt, bei welchen die Landwirtinnen und Landwirte kein angemessenes Einkommen erzielen. Unfair ist dann, dass die Landwirtinnen und Landwirten trotz viel und harter Arbeit kein angemessenes Einkommen erzielen, die Preise an sich sind deswegen aber nicht unfair.
Es ist auch zu berücksichtigen, dass die Direktzahlungen darauf abzielen, das Angebot an Lebensmitteln, die in der Schweiz produziert werden, zu erhöhen. Diese politisch gewünschte Ausdehnung des Angebots wirkt sich natürlich dämpfend auf die Lebensmittelpreise aus. Man kann nicht das Angebot mittels Direktzahlungen ausdehnen und dann behaupten, dass die resultierenden Preise unfair seien. Wenn man die Einkommen der Bauern erhöhen will, ist das politisch legitim. Aber dann sind die Steuerzahlenden und nicht die Konsumentinnen und Konsumenten zur Kasse zu bitten.
Interview: Anne Berger