Gut entwickelte Bodenlebewesen und Pflanzen, die sich von den im Boden enthaltenen Nährstoffen ernähren können, sind die Voraussetzung für eine gute Bodenfruchtbarkeit. Sich auf den Humusaufbau konzentrieren, die natürliche Energie der Photosynthese nutzen und auf die Unabhängigkeit landwirtschaftlicher Systeme hinarbeiten – das sind erfolgversprechende Perspektiven für uns und unsere Nachkommen, genauso wie für die Umwelt.
Lückenhafte Kenntnisse
Die Welternährungsorganisation (FAO) hat bereits 2015 Alarm geschlagen und unter dem Slogan «Gesunde Böden für ein gesundes Leben» das internationale Jahr des Bodens lanciert. Obwohl der Boden die Grundlage der Landwirtschaft und der Ernährung bildet, ist nur wenig und lückenhaftes Wissen darüber vorhanden. Erst 2017 hat das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) den ersten Bericht über den Zustand der Böden in der Schweiz veröffentlicht und seine Bedeutung betont: «Die Ressource Boden ist eine wichtige Lebensgrundlage und in menschlichen Zeitmassstäben nicht erneuerbar.»
2020 hat der Bundesrat die Bodenstrategie Schweiz verabschiedet. Die entscheidende Rolle der Biodiversität im Boden wird dort anerkannt, ebenso ihre Gefährdung durch chemische und physikalische Schädigungen: «Bislang hat dieser Rückgang der Biodiversität und Aktivität im Boden noch keine verringerten Ernteerträge zur Folge gehabt, weil Beeinträchtigungen der Produktionsfunktion von Böden durch die Zugabe von Düngemitteln und Pestiziden kompensiert werden konnten. Wenn die biologische Aktivität in den Böden nicht aufrechterhalten oder wiederhergestellt werden kann, sind Beeinträchtigungen von Bodenfunktionen zu erwarten, die sich künftig auch in Rückgängen bei den landwirtschaftlichen Erträgen niederschlagen können.»
Wie sind wir so weit gekommen? Während Jahrzehnten war die Produktion das oberste Ziel der Landwirtschaft, und der Boden wurde als Mittel zum Zweck gesehen. Den darin ablaufenden Prozessen wurde wenig Beachtung geschenkt.
Perspektivenwechsel
Boden ist viel mehr als Mineralien aus zerfallenem Gestein. Um fruchtbar zu sein, muss der Boden leben. Die Mikro- und Makrofauna wandelt organisches Material in Humus um, erhält die Struktur des Bodens und baut organische Schadstoffe ab. Das hat Stéphane Deytard, Bauer aus dem Kanton Waadt verstanden: Der Boden ist in doppelter Hinsicht wichtig. Er fördert die Gesundheit, weil er eine bessere Ernährung ermöglicht und weniger Gifte in die Umwelt gelangen, und er dämpft die Auswirkungen der Klimaerwärmung, weil er Kohlendioxid speichert.
Durch das Studium der Bodenbiologie und der Pflanzen hat er seine Böden schätzen gelernt. Stéphane Deytard hat auch gelernt, dass der Boden zwar die Grundlage des Lebens, aber gleichzeitig sehr fragil ist. «Der ideale Boden bietet die beste Umgebung für die Wurzeln, die Mikroorganismen und alles Leben. Wenn eine stabile Struktur vorhanden ist, gibt es organisches Material und damit ein günstiges Umfeld für das Bodenleben. Dieses Bodenleben stärkt die strukturelle Stabilität des Bodens. Ein positiver Kreislauf», sagt Stéphane Deytard. Dank den ergriffenen Massnahmen stellt er eine bessere Widerstandsfähigkeit des Bodens gegen Trockenheit und Starkregen fest, sowie weniger Probleme mit Schädlingen. Auf Feldern, wo es Probleme gibt, hat der Boden die Fähigkeit, sich selbst zu erneuern, verloren, und es muss ein neues Gleichgewicht gefunden werden. Aber das Bodenleben reicht nicht aus. Das Gleichgewicht ist auch von dem abhängig, was auf dem Boden wächst. Daher achtet Stéphane Deytard auf seinem ganzen Hof auf die Biodiversität, zum Beispiel in seinem Obstgarten mit ungefähr hundert Hochstammbäumen und fast ebenso vielen verschiedenen Sorten, die wiederum von Hecken und weiteren Strukturelementen umgeben sind.
Regenerative Landwirtschaft
Der Boden und die Biodiversität sind die Schlüssel zu einer produktiven und nachhaltigen Landwirtschaft, dessen ist sich Alex von Hettlingen von Regenerativ Schweiz sicher. Auf der Online- Plattform werden umfangreiche Unterlagen angeboten, aber auch ganze Kurse, ergänzt mit Austauschtreffen zwischen interessierten Produzentinnen und Produzenten. «Bei der regenerativen Landwirtschaft geht es um den Wechsel von ausgebeuteten und toten Böden zu einem Organismus, bei dem das Zusammenspiel mit den Pflanzen erneut funktioniert», erklärt Alex von Hettlingen. «Deshalb ist Biodiversität nicht nur auf ökologischen Ausgleichsflächen, sondern auch auf Produktionsflächen absolut entscheidend.»
Biodiversität statt Monokultur, minimale Bearbeitung des Bodens und Erhalt seiner Struktur, Bedeckung und Durchwurzelung des Bodens, Stimulation des Stoffwechsels im Boden, Einbezug von Tieren – das sind Prinzipien, die in der regenerativen Landwirtschaft angewendet werden. Ziel ist es, mit der Natur zusammenzuarbeiten anstatt dagegen, und so funktionierende Ökosysteme herzustellen sowie die Erträge zu steigern. Schon viele Landwirtinnen haben den Übergang zur regenerativen Landwirtschaft gewagt, um die Böden zu schützen und die Einkommen zu erhalten. Doch dieser Wandel verlangt eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Thema, eine breite Unterstützung sowie teilweise radikale Veränderungen eines Systems, in dem die Industrie heute «Lösungen» vorschlägt, die häufig die Probleme eher noch vertiefen und erhalten, statt sie zu lösen.
Sorge tragen zu unseren Böden
Für Alex von Hettlingen ist der Boden gesund, wenn er reich an Humus ist, gut durchwurzelt und mit einer grossen Vielfalt von Pflanzen bewachsen. So ermöglicht er eine nachhaltige Nahrungsmittelproduktion auch für die kommenden Generationen – er ist enkeltauglich. Stéphane Deytard betont: «Es gibt Ähnlichkeiten in der Art, wie wir den Boden pflegen und wie wir zu den Menschen schauen. Je gesünder er ist, desto weniger muss er bearbeitet und gegen Krankheiten geschützt werden.» Wenn er einem Jungbauer einen Tipp geben könnte, würde er ihm raten, sich damit auseinanderzusetzen, wie Boden entsteht. Das hilft, den Boden zu achten und effizienter zu produzieren. Gleichzeitig kann der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und Dünger, welche die natürlichen Abläufe stören, auf ein Minimum reduziert werden. Sowohl Alex von Hettlingen als auch Stéphane Deytard sind überzeugt: Das Argument, dass die sogenannt biologische Landwirtschaft nicht ausreicht, um die Weltbevölkerung zu ernähren, ist falsch. Die Natur ist grosszügig und die Kraft des Bodens zu nutzen ist lernbar.
Dieser Artikel erschien in der Agricultura-Ausgabe 2/2021. Autorin: Anne Berger.