Anfang Jahr haben die Bauernproteste auch die Schweiz erreicht. Die Gruppe «Révolte agricole suisse», die sich in der Romandie formiert hat, forderte höhere Produzentenpreise und nahm damit den Detailhandel direkt in die Pflicht. Dieses Anliegen ist berechtigt und legt den Finger auf einen wunden Punkt: Die tiefen Produzentenpreise und der steigende administrative Aufwand setzen die Bäuerinnen und Bauern immer stärker unter Druck.
Viele versuchen dem mit einer Steigerung ihrer Produktion zu begegnen. So sind viele Betriebe gefangen in einem System, das sie immer weiter zu Wachstum und Intensivierung zwingt. Kleinere Höfe, die bei diesem Wettlauf nicht mithalten können, müssen den Betrieb aufgeben und die anderen kommen trotz allen Anstrengungen nicht aus der wirtschaftlichen Misere. Denn abgesehen von wenigen Grossbetrieben sind die eigentlichen Profiteure dieses Systems die grossen Konzerne in den vor- und nachgelagerten Bereichen der Landwirtschaft.
Obwohl die ersten Proteste von der bäuerlichen Basis organisiert wurden und genau diese Themen aufgegriffen haben, die uns Bäuerinnen und Bauern am meisten beschäftigen, wurde die Bewegung in den letzten Wochen immer mehr in eine andere Richtung gelenkt. Die direkte Kritik an den Grossverteilern und den vor- und nachgelagerten Konzernen hat merklich abgenommen, dafür wurden Stimmen lauter, die sich gegen die Umweltmassnahmen wenden. Und auch von den sogenannt bäuerlichen Vertretern im Parlament wurden die Proteste zum Vorwand genommen, um den Klima- und Artenschutz weiter auszuhöhlen.
Ich und mit mir viele andere progressive Bäuerinnen und Bauern stecken darum in einem Dilemma: Einerseits ist es uns ein Anliegen, auf unsere wirtschaftliche Situation und die Probleme in der Landwirtschaft aufmerksam zu machen, andererseits wollen wir damit nicht die Rechtfertigung für weitere Angriffe auf den Klima- und Artenschutz liefern. Denn dies kommt zumindest längerfristig sicher nicht den Bäuerinnen und Bauern zugute, die von den Folgen des Klimawandels wie Trockenheit oder Starkregen jetzt schon direkt und überproportional betroffen sind.
Als Reaktion auf die Proteste hat der Bauernverband angekündigt, die einzelnen Branchen bei den Preisverhandlungen mit dem Handel zu unterstützen. Das sind erfreuliche Nachrichten. Denn dort ist das Gewicht des Bauernverbandes nützlich und hilfreich. Jetzt müssen nur noch die bäuerlichen Vertreterinnen und Vertreter im Parlament merken, in wessen Auftrag sie eigentlich politisieren sollten. Anstatt die landwirtschaftliche Produktion durch den Abbau beim Klima- und Artenschutz langfristig zu gefährden, muss die Position der Landwirtschaftsbetriebe bei den Preisverhandlungen verbessert und die wirtschaftliche Situation vor allem der kleineren Bauernhöfe gestärkt werden.
Auch dieses Wochenende gingen wieder viele Bäuerinnen und Bauern in der ganzen Schweiz für ihre Anliegen auf die Strasse. Diese Aktionen verdienen unsere Unterstützung. Aber wenn die Proteste sich immer stärker gegen Umweltmassnahmen richten, sägen sich die Bauern den Ast ab, auf dem sie sitzen.
Diese Kolumne von Kilian Baumann ist am 25.03.2024 im Bieler Tagblatt und auf www.ajour.ch erschienen.