Klimafreundliches Ernährungssystem: Zutaten für den Wandel

Für eine Wende hin zu einem klimafreundlicheren Ernährungssystem braucht es Anstrengungen auf allen Ebenen. Welche, erläutert Kilian Baumann im Interview vor der Klima-Demo und zum Abschluss der Kampagne Bäuerinnen und Bauern fürs Klima. Er sagt: «Es gibt viele Akteure, die vom gegenwärtigen Ernährungssystem profitieren und die ein entsprechend geringes Interesse an Veränderungen haben.»

Kilian Baumann ist Biobauer und Präsident der Kleinbauern-Vereinigung. Als Nationalrat der Grünen setzt er sich auf politischer Ebene ein für eine vielfältige, ökologische und soziale Landwirtschaft. Foto: Silvan Mahler, 2021

Kilian, wenn du an ein klimafreundliches Ernährungssystem denkst, was sind die wichtigsten Elemente?

Es ist grundsätzlich wichtig, dass das Ernährungssystem als Ganzes betrachtet wird – von der Heu- bis zur Essgabel. Nur wenn Produktion, Verarbeitung, Handel und Konsum sich gegenseitig ergänzen, kann die Wende zu einem nachhaltigen Ernährungssystem gelingen. Eine klimafreundliche Produktion von Lebensmitteln ist standortangepasst. Das heisst: Wiederkäuer werden grundsätzlich nur auf Grünland gehalten, das anders nicht für die menschliche Ernährung genutzt werden kann. Dafür sollen auf den Ackerflächen, die gegenwärtig zu 60 % für den Anbau von Futtermitteln genutzt werden, vermehrt Kulturen für die direkte menschliche Ernährung angebaut werden, insbesondere proteinhaltige Pflanzen. Da wir nur die Hälfte unserer Nahrungsmittel in der Schweiz produzieren, fallen die Importe stark ins Gewicht. Diese müssen nachhaltiger gestaltet werden, etwa indem die Zölle auf Agrargüter an Nachhaltigkeitskriterien geknüpft werden. Beim Konsum geht es vor allem um die Umstellung auf eine vermehrt pflanzliche Ernährung. Das heisst nicht, dass auf Fleisch verzichtet werden muss, doch der Anteil tierischer Produkte auf unserem Speisezettel muss langfristig reduziert werden, denn deren Produktion ist mit hohen Treibhausgasemissionen verbunden. Eine vermehrt pflanzliche Ernährung ist zudem nicht nur klima- und umweltschonend, sondern auch gesünder.

Welche Rolle spielen dabei die Konsumentinnen und Konsumenten?

Für ein klimafreundliches und nachhaltiges Ernährungssystem müssen auch Konsumentinnen und Konsumenten in die Pflicht genommen werden. Das betrifft vor allem den Konsum tierischer Produkte, insbesondere von Fleisch. Die Verantwortung für ein klimaschonendes Ernährungssystem kann aber nicht einfach auf die Konsumentinnen und damit auf das marktwirtschaftliche Prinzip von Angebot und Nachfrage überwälzt werden. Die Konsumenten treffen zwar vor dem Ladenregal individuelle Entscheidungen, die einen grösseren oder kleineren Einfluss auf das Klima und die Umwelt haben. Doch lange vorher wurde definiert, welche Produkte in welchen Mengen und zu welchem Preis überhaupt in das Ladenregal kommen, etwa durch den Zollschutz oder die Direktzahlungen. Es ist folglich die Politik, die dem Markt den Rahmen vorgibt, innerhalb dessen überhaupt individuelle Konsumentscheide getroffen werden können. Die Politik muss diesen Rahmen so abstecken, dass eine nachhaltige Ernährung mit gesunden und für alle erschwinglichen Lebensmitteln möglich ist. Zudem ist es wichtig, dass die Konsumentinnen über die nötigen Informationen verfügen, um informierte und nachhaltige Konsumentscheide treffen zu können. Auch hier ist die Politik in der Pflicht, die Konsumenten entsprechend zu sensibilisieren und die Produzentinnen und Anbieter zu verpflichten, die nötigen Informationen bereit zu stellen.

Welches sind die agrarpolitischen Ansatzpunkte für ein klimafreundlicheres Ernährungssystem?

Es gibt in der Agrarpolitik viele Fehlanreize, mit denen eine klima- und umweltschädliche Produktion gefördert wird – etwa die Absatzförderung für Fleisch, bestimmte Strukturverbesserungsmassnahmen oder der Basisbeitrag. Um eine klimafreundliche und standortangepasste Landwirtschaft zu fördern, müssen solche Subventionen abgeschafft oder entsprechend angepasst werden. Ein weiterer Ansatzpunkt ist der Zollschutz für Agrargüter. Gegenwärtig dient dieser vor allem dem Schutz der einheimischen Produktion, etwa durch die fortlaufende Anpassung der Zölle und Kontingente an die Anbausaison in der Schweiz. Indem die Zollsätze an Nachhaltigkeitskriterien geknüpft werden, bietet der Grenzschutz einen geeigneten Hebel, um gezielt die nachhaltige Entwicklung des Schweizerischen Ernährungssystems zu fördern. Denn so wird endlich für gleichlange Spiesse gesorgt, und die Schweizer Produktionsstandards werden nicht mehr durch Billigimporte unterlaufen. Massnahmen im Bereich Konsum sind grundsätzlich schwierig – wir wollen niemandem den Speisplan diktieren. Hier gilt es vor allem, die Konsumentinnen und Konsumenten zu sensibilisieren.


«Es gibt viele Akteure, die vom gegenwärtigen Ernährungssystem profitieren und die ein entsprechend geringes Interesse an Veränderungen haben.»
Kilian Baumann, Präsident Kleinbauern-Vereinigung

 

Die Wende stösst in Landwirtschaftskreisen auf grossen Widerstand und kommt politisch nicht vom Fleck. Wo liegen dafür aus deiner Sicht die Gründe? Und wie kommen wir trotzdem voran?

Es gibt viele Akteure, die vom gegenwärtigen Ernährungssystem profitieren und die ein entsprechend geringes Interesse an Veränderungen haben. Von der intensiven Produktion profitieren vor allem die Agrarkonzerne aus dem «Speckgürtel» um die Landwirtschaft: die Agrarchemie mit der Herstellung und dem Verkauf von Mineraldünger und Pestiziden, oder der Futtermittelhandel. Eine ökologische Landwirtschaft ist weniger auf solche Vorleistungen angewiesen und entsprechend kleiner würden die Profite dieser Konzerne ausfallen. Aber auch der Detailhandel profitiert mit seiner undurchsichtigen Margenpolitik vom gegenwärtigen System, insbesondere das Duopol der beiden Detailhandelsriesen. Im Verhältnis zu konventionell produzierten Nahrungsmitteln werden Label-Produkte tendenziell überteuert verkauft, was ein weiteres Wachstum dieses Segments verhindert. Gleichzeitig werden importierte Nahrungsmittel, vor allem Fleisch, zu Dumpingpreisen angeboten und intensiv beworben. Mit solchen «Lockvogelangeboten» sollen die Konsumierenden in die Läden gelockt und zu weiteren Käufen animiert werden. Eine zentrale Rolle beim Erhalt des Status Quo kommt dem Schweizer Bauernverband zu, der die Interessen dieser Akteure bündelt und auf politischer Ebene jeden Schritt in Richtung Ökologie und Nachhaltigkeit verhindert oder verzögert. Um dieses Macht-Kartell zu Zugeständnissen zu bewegen, braucht es Druck von aussen. Das haben die beiden Agrarinitiativen gezeigt: Nur durch diesen Druck aus der Bevölkerung konnte der Absenkpfad für den Pestizideinsatz durch das Parlament gebracht werden. In der Folge wurden nun der Einsatz von Pestiziden massiv eingeschränkt, die Bestimmung zu den Nährstoffüberschüssen verschärft und die Biodiversitätsförderflächen im Ackerbaugebiet auf 3,5 % erhöht.

Gewisse Kreise sehen die Lösung der Klimakrise auch in der Landwirtschaft vor allem in technischen Innovationen. Wie schätzt du das ein?

Technische Lösungen sind sicher wichtig, ohne wird es nicht mehr gehen. Die Landwirtschaft bietet hier auch grosses Potenzial, etwa mit Kohlenstoffspeicherung in den Böden, Fotovoltaik auf den Dächern oder neuen Methoden des Precision Farming, mit denen die Effizienz gesteigert und Ressourcen eingespart werden können. Aber entscheidend bleibt die Produktion und der Konsum von tierischen Produkten, die für über 10 % der gesamten Treibhausgasemissionen verantwortlich sind. Ohne die Umstellung auf eine standortangepasste Produktion und eine markante Reduzierung des Fleischkonsums werden wir die Klimaziele nicht erreichen können.

 

Teil 1 des Gesprächs lesen: Klimaschutz als Chance? Vier Fragen an Kilian Baumann

 

Das Interview führte Annemarie Raemy
Foto: Silvan Mahler, 2021

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