Wo Stadt und Land sich treffen

Urbane Agrikultur liegt im Trend. Immer mehr Menschen haben das Bedürfnis, ihre Lebensmittel selbst zu produzieren, mitten in der Stadt. Doch die Vorzüge von Gemeinschaftsgärten und Stadtbauernhöfen gehen über die Lebensmittelproduktion hinaus: Sie verbinden diese mit weiteren Bereichen gesellschaftlichen Engagements. Wie das aussehen kann, zeigt die Hostet Elfenau in Bern.

Mit Gleichgesinnten aus dem Quartier das eigenen Gemüse anbauen. Photo: Edith Helfer

Ueli Scheuermeier, Agronom, Mitglied der Interessengemeinschaft IG Elfenau sowie treibende Kraft im Verein Hostet-Elfenau und ich treffen uns an einem verregneten Nachmittag im Juni. Die Fahrt mit dem Bus führt mich durch Bern, dann noch ein paar Schritte durch das ruhige Quartier, bevor sich der Blick öffnet. Ich bin in der Elfenau. Heute ein Naherholungsgebiet am Stadtrand mit Café, Park und Kulturanlässen, zeugen die historischen Gebäude aus dem 18. Jahrhundert von der Vergangenheit als Landgut. Seit 1285 ist das Gebiet der Elfenau, damals noch Klostergut Brunnadern, urkundlich erwähnt. Die Parkanlage Elfenau ist einer der wichtigsten englischen Landschaftsparks der Schweiz aus dem frühen 19. Jahrhundert. Das Naturreservat an der Aare steht unter nationalem und kantonalem Schutz.

Stadtbauernhof Elfenau

«Die längste Grenze in der Schweiz ist die zwischen Randstein und Maisfeld.» Ueli Scheuermeier / Photo: Annemarie Raemy

Ebenfalls Teil des Areals ist ein rund 19 Hektar grosses Bauerngut. Dass in der Elfenau bis heute Landwirtschaft betrieben wird, ist auch der Quartierbevölkerung zu verdanken. In den 2000er-Jahren bestanden Pläne, einen Teil der Grünflächen zu überbauen. Und 2009 wollte die Stadt den Hof veräussern. Dies, weil grosse Investitionen nötig gewesen wären, um den Betrieb an das Tierschutzgesetz anzupassen. In beiden Fällen regte sich in Bevölkerung und Politik Widerstand, die Stadt liess die Pläne fallen. Für rund 300’000 Schweizer Franken wurde der Kuhstall in der Folge den neuen Vorgaben angepasst, die Schweinehaltung aufgegeben. Der Landwirt, der den Betrieb in der vierten Generation pachtet, geht bald in Pension. Familienintern gibt es keine Nachfolge. Wie weiter also? Im Gegensatz zu 2009 möchte die Stadt nun, dass der Bauernhof weiterbesteht. Der künftige «Stadtbauernhof Elfenau» soll finanziell selbsttragend sein, Hofprodukte direkt vermarkten, als Begegnungs- und Bildungsort für die Bevölkerung wirken sowie auf biologische Produktion umstellen. Das Konzept, das aktuell in Zusammenarbeit mit der Bevölkerung entsteht, sieht vor, die verschiedenen bereitsbestehenden Initiativen wie auch neue Ideen unter einer Betriebsleitung zu bündeln und synergetisch zusammen zu führen.

Initiative aus dem Quartier

Ich finde Ueli beim «chräbele» in der Hostet, die zum Landwirtschaftsbetrieb gehört. Hier ist in den letzten Jahren ein Gemeinschaftsgarten entstanden, ausgelöst durch die Kampagne «Mach Bern zu deinem Garten» im Jahr 2018. In Absprache mit dem Pächter haben Leute aus dem Quartier begonnen, ihre «Wasen-Pizzas» anzulegen, Pflanzinseln direkt auf Gras. Alles sehr informell und spontan. Wer im Garten arbeitet, meldet die Stunden. Diese kann er oder sie über ein Gutscheinsystem indirekt wieder einsetzen, um Gemüse zu «bezahlen». Daneben gibt es in der Hostet auch Beeren und Obstbäume. Das Gras wiederum nutzt der Hof. Heute ist die Hostet-Elfenau Teil des GartenNetzBern, einem losen Zusammenschluss von Organisationen und Projekten im Bereich Urban Gardening.

In der Hostet Elfenau werden Lebensmittel produziert, die es vorher nicht gab. Photos: Edith Helfer

Die Vision: Ein Waldgarten nach Permakultur-Prinzipien, mit viel Biodiversität und Möglichkeiten für Begegnungen und gemeinschaftliche Aktivitäten – Quartier-Mosten etwa, oder gemeinsames Konfi-Kochen. Die Leute in der Elfenau haben noch viele Ideen, die teilweise auch über die Hostet hinausgehen. Eine davon ist das Projekt Quartierbrot. «Letztes Jahr habe ich den Bauern angefragt, ob er Korn anbauen könnte», erzählt Ueli. Bisher hatte dieser aus Zeitgründen nur noch Futterbau betrieben. «Das kann es doch einfach nicht sein, bei so viel Nähe zur Stadt und den damit verbundenen Chancen». Leider hat gerade letzten Sommer das Wetter nicht mitgespielt, es gab kaum Ertrag. Doch der Bauer liess sich inspirieren und hat im Herbst wieder Dinkel und Weizen gesät. Inzwischen haben sie auch eine Mühle gefunden, die ihr Korn mahlt und lagert. Wenn alles gut geht, gibt es bei der Bäckerei im Quartier also schon bald Elfenaubrot.

«Die Initiative kommt von der Bevölkerung, nicht von den Bauern», resümiert Ueli. «Die Agglo-Landwirtschaft ist heute meist durchmechanisiert. Die Heimet gibt es nicht mehr, die Flächen sind verpachtet und werden für Futterbau genutzt». Dabei hätte die stadtnahe Landwirtschaft enormes Potenzial. Viele Flächen wären geradezu prädestiniert, um Leute aus den Quartieren zu involvieren und sie ihr eigenes Essen anbauen zu lassen, zusammen mit Gleichgesinnten. Auch das Interesse wäre da, ist Ueli überzeugt. «Im heutigen Agrarregulativ hat es dafür aber keinen Platz. Es bräuchte eine neue Systemlogik, in der sich die Landwirtschaft den Bedürfnissen der Menschen anpasst, die darum herum leben und arbeiten. Wir haben da ein riesiges Niemandsland, das es zu erkunden gibt!»

Gemeinsam Grenzen auflösen

Die (Wieder-)Belebung des Elfenauhofs hat durch die initiativen Menschen der Hostet-Elfenau, der IG Elfenau und dank der Offenheit des heutigen Pächters gegenüber einer schrittweisen Neuausrichtung des Betriebs also längst begonnen. Auch die Kita, die tageweise auf dem Hof zu Besuch ist und der im Gemeinschaftsgarten ebenfalls eine «Pizza» gehört, ist Teil davon. Die besondere Qualität der urbanen Agrikultur-Bewegung liegt in der Kombination einer funktionierenden und profitablen Landwirtschaft und dem gesellschaftlichen Mehrwert durch die Entstehung sozialer Netzwerke und der gemeinsamen Gestaltung von Lebensräumen. Wenn damit eine Brücke geschlagen werden kann zwischen Stadt und Land und sich neue Allianzen bilden, kann das für alle nur von Vorteil sein.

 

  • Dieser Artikel erschien in der Agricultura-Ausgabe 3/2022. Autorin: Annemarie Raemy

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