Gran Alpin: Mit alten Traditionen in die Zukunft

In der Berglandwirtschaft dominiert heute die Tierhaltung. Könnten auch im Alpenraum mehr pflanzliche Lebensmittel angebaut werden? Das Beispiel der Genossenschaft Gran Alpin in Graubünden zeigt, was möglich ist, wenn Bäuerinnen und Bauern, Verarbeitung und Vertrieb sowie Behörden am gleichen Strick ziehen.


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Der Anbau von Getreide prägte über Jahrhunderte das Landschaftsbild vieler Teile der Alpen und Voralpen. Die damaligen Bergbauern nutzten starke und zähe Getreidesorten, die den langen und kalten Wintern standhielten – Roggen beispielsweise wächst bis auf 2000 m ü. M. Erst die landwirtschaftliche Mechanisierung und Spezialisierung sorgten dafür, dass sich der Ackerbau aus Gründen der Effizienz fast vollständig ins Schweizer Mittelland verlagerte. Viel Wissen über den Bergackerbau, aber auch die grosse Vielfalt an robusten Getreidesorten sind dadurch verloren gegangen. Damit verarmte nicht nur ein Teil des kulturellen und kulinarischen Erbes der Alpen, sondern auch die Biodiversität. Was heute also unter standortangepasster Landwirtschaft verstanden wird, die Spezialisierung auf Viehhaltung im Berggebiet, ist historisch gesehen ein eher neueres Phänomen.

Alte Tradition auf dem Vormarsch

Es sprechen aber nicht nur nostalgische und ökologische Gründe dafür, die alte Tradition des Bergackerbaus wieder aufzunehmen. «Der Ackerbau vermindert für die Bergbäuerinnen und Bergbauern die Gefahren einer einseitigen Ausrichtung auf die Viehwirtschaft», erklärt Maria Egenolf, Geschäftsleiterin der Genossenschaft Gran Alpin. «Eine vielseitige Bewirtschaftung ermöglicht auch in der Berglandwirtschaft eine bessere Düngerbewirtschaftung und damit nachhaltigeren Pflege von Feldern und Wiesen.» Die Genossenschaft Gran Alpin wurde 1987 von einer Gruppe Bünder Bergbauern in Tiefencastel gegründet mit dem Ziel, dem Bergackerbau im Kanton wieder auf die Sprünge zu helfen und dessen Produkte professioneller zu vermarkten.

Dabei bekannte sich die Genossenschaft von Anfang an auch zu einer ökologischen Bewirtschaftung. Pestizide waren seit der Gründung untersagt, 1996 erfolgte die offizielle Umstellung auf die Bio-Knospe. «Der Anteil Biolandwirtschaft ist in Graubünden schon generell hoch, das hat diese klare Ausrichtung sicher erleichtert», so Maria Egenolf. Total 110 Höfe belieferten Gran Alpin im Jahr 2021 und produzierten zusammen rund 700 Tonnen Bio-Berggetreide. Jedes Jahr kommen 10 bis 15 neue Betriebe dazu. «Beim Roggen mussten wir die Menge letztes Jahr begrenzen, da der Absatz fehlt. Aktuell suchen wir vor allem noch Produzenten für Brau- und Speisegerste, Buchweizen und Dinkel, da ist die Nachfrage gross. Das Wachstum wird aber bei den meisten Kulturen aktuell eher seitens der Verarbeitung gebremst», erklärt Maria Egenolf.

Starke regionale Wertschöpfung und Verankerung

Eine logische Folge: Der jahrzehntelange Rückgang des Getreideanbaus im Berggebiet ging einher mit der Schliessung der meisten Mühlen. Momentan nutzt Gran Alpin zwei Verarbeitungsbetriebe im Bergell sowie im Puschlav. Dinkel, Emmer und Mais werden hingegen im Kanton Glarus vermahlen. Als Grossabnehmer für Weizen und Rollgerste kam Anfang der Nullerjahre der Grossverteiler Coop dazu, der die damit hergestellten Produkte unter dem Pro-Montagna-Label verkauft. Auch die Brauerei Locher in Appenzell wurde ein wichtiger Abnehmer. Diese initiierte 2003 den Braugerstenanbau im Berggebiet mit und braut seitdem aus Bündner Bio-Braugerste das Gran-Alpin-Bier. Für den Sprung aus der Nische ist die Zusammenarbeit mit grossen Partnern hilfreich.

Dennoch ist Maria Egenolf stolz darauf, dass einer der wichtigsten Vertriebskanäle nach wie vor der Verkauf in Graubünden selbst ist. Über 100 Bündner Dorf- und Hofläden, aber auch diverse Bäckereien, Restaurants und Hotels im ganzen Kanton verkaufen die Mehle, Körner oder Flocken von Gran Alpin oder verarbeiten diese weiter. Der Vorstand von Gran Alpin setzt sich bewusst aus Bäuerinnen und Bauern aus verschiedenen Büdner Tälern zusammen, dies erleichtert den direkten Draht zur Basis. Aber auch übergeordnet, sprich mit den kantonalen Behörden, mit der landwirtschaftlichen Ausbildung und Beratung funktioniert die Zusammenarbeit. «Wir hatten von Anfang an die Unterstützung des Plantahof, das war enorm wichtig für den Aufbau von Gran Alpin», bilanziert Maria Egenolf.

Intensive Tierhaltung als Hindernis

Trotz professionellem Vertriebsnetzwerk und praktischer Unterstützung wolle aber nach wie vor nicht jeder Berglandwirt Getreide anbauen, selbst wenn die topografischen Bedingungen passten. «Auch im Berggebiet haben viele Betriebe in den letzten Jahren auf Intensivierung in der Tierhaltung gesetzt und zum Beispiel grössere Ställe gebaut. Hochleistungsrassen brauchen genügend Futter und im Biolandbau muss dieses grösstenteils vom eigenen Betrieb kommen, sodass alle vorhandenen Flächen fürs Vieh gebraucht werden», erklärt sie.

Gran Alpin veröffentlichte letztes Jahr eine Vergleichsrechnung, die aufzeigt, dass es sich trotzdem finanziell lohnt, eine Kuh weniger zu halten und stattdessen ein Hektar Berggetreide anzubauen. Es profitiert aber nicht nur der einzelne Betrieb, sondern auch die Wertschöpfung in der gesamten Region. Ein spannender Ansatz, der auch in anderen Bergkantonen und grad angesichts der Diskussion um Klimaziele Potential hat. Der Austausch mit anderen Kantonen findet jedoch erst sporadisch statt. Beispielsweise mit dem Kanton Wallis, wo der Roggenanbau dank AOC-Zertifizierung des Walliser Roggenbrots seit 2004 ebenfalls wieder zunimmt.

Gibt es denn politische Hürden, die dem Bergackerbau im Wege stehen? Seit der letzten Agrarreform 14/17 fühle man sich nicht nur vom Kanton, sondern auch von der nationalen Agrarpolitik grösstenteils getragen. Diese fördert den Bergackerbau u.a. zusätzlich mit Landschaftsqualitätsbeiträgen. Mehr Unterstützung wünschen sich die Bäuerinnen von Gran Alpin hingegen aus der Forschung. «Berggetreidesorten werden in der klassischen Pflanzenzüchtung und bei der Entwicklung neuer Sorten vernachlässigt. Da wäre noch grosses Potential vorhanden», meint Maria Egenolf. Nach wie vor sei man deshalb auf das persönliche Engagement von einzelnen Landwirten, die Zeit in die Saatgutvermehrung investieren, oder den renommierten Getreideforscher Peer Schilperoord angewiesen. Letzterer hat den Aufbau der Genossenschaft Gran Alpin stark mitgeprägt und wirkt noch heute in diversen Projekten bei der Neuentwicklung von Sorten mit. Dank einer solchen Initiative von Peer Schilperoord will nun der Plantahof ab 2023  wieder Sortenprüfungen für den Biobergackerbau durchzuführen.

Das Beispiel Gran Alpin zeigt, dass auch im Berggebiet viel Potential neben der Tierhaltung vorhanden ist. Voraussetzung eines solchen Projekts ist jedoch, dass alle von einer gemeinsamen Vision überzeugt sind: Produzentinnen, Verarbeiter, Gewerbe, Behörden und auch die Politik. Die Tierhaltung wird immer einen wichtigen Stellenwert im Berggebiet haben, das ist aus ökologischer Sicht unbestritten. Aber auch hier weist mehr Vielfalt den Weg in die Zukunft.

 

Dieser Artikel erschien in der Agricultura-Ausgabe 1/2022. Autorin: Patricia Mariani

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