Böden sind unsere Lebensgrundlage. Ohne Boden kein Leben, ohne Bodenleben kein Ertrag. Doch wie geht es den landwirtschaftlichen Böden in der Schweiz? Wir haben bei Dr. Beatrice Kulli nachgefragt, Dozentin für Bodenökologie an der ZHAW und Co-Leiterin der Geschäftsstelle der Bodenkundlichen Gesellschaft Schweiz.
Beatrice Kulli, wie viel Prozent der landwirtschaftlichen Böden in der Schweiz würden Sie als «gesund» bezeichnen?
Wir haben keine flächendeckende Erhebung zum Bodenzustand in der Schweiz, deshalb ist dazu keine klare Aussage möglich. Zwar gibt es Bodenkarten, allerdings nicht in allen Kantonen. Was man zu Hilfe holen kann, ist die nationale Bodenbeobachtung NABO. Dort sehen wir Trends, z.B. ob die Verdichtung oder die Kupfer- und Zinkwerte auf landwirtschaftlichen Flächen zunehmen. Rückschlüsse von den Einzelstandorten des Messnetzes auf die Gesamtfläche sind aber nicht möglich.
Was ist denn eigentlich ein gesunder Boden?
Auf das Agrarland bezogen ist ein gesunder Boden ein fruchtbarer Boden: Er ermöglicht eine gute Produktion bezogen auf seine Standortbedingungen, hat keine menschlichen Schäden wie Verdichtung oder Verschmutzung und ist nicht degeneriert, d. h. die Bodenstruktur ist nicht schlecht und er ist nicht verarmt an Nährstoffen oder erodiert. Auch Sumpfböden oder Trockenstandorte können gesund sein, sind aber nicht im landwirtschaftlichen Sinn fruchtbar.
Verdichtung, Versiegelung, Verschmutzung – Sind das die hauptsächlichen Probleme unserer Böden?
Die Versiegelung ist aus meiner Sicht die grösste Bedrohung, da sie unwiderruflich ist. Zwar können auch solche Böden wieder Lesen Sie das ganze Interview unter hergestellt werden, aber dann braucht es Bodenmaterial aus anderen Gebieten, und dieses fehlt dann dort. Die Verdichtung ist kein direktes Risiko für den Menschen, deshalb gibt es für Landwirtschaftsland (noch) keine Regelungen – anders als auf Baustellen, wo der physikalische Bodenschutz etabliert ist. Im eigenen Interesse müssten die Landwirtinnen den Boden aber vor Verdichtung schützen. Oft können Landwirte jedoch nicht flexibel agieren, z. B. bei Lieferterminen oder in der Zusammenarbeit mit Lohnunternehmen. Im Hinblick auf Schadstoffe ist es schwierig eine Aussage zu machen, weil immer wieder neue entdeckt werden. Im Moment sind es die PFAS, diese schwer abbaubaren Chemikalien, die überall nachgewiesen werden können und für die es noch keine Grenzwerte für den Boden gibt.
Kann man Böden auch wieder „sanieren“?
In der Schweiz gibt es degradierte Böden, meist durch die menschliche Nutzung. Diese sind nicht mehr ackerfähig. Auch gibt es bspw. im Berner Seeland trockengelegte Moore, die in den letzten 100 Jahren 2 Meter abgesackt sind, da sich Moore durch die Luftzufuhr setzen, wenn der Abbau von organischem Material einsetzt. Kommt man dort in die Nähe des Grundwasserspiegels, wird es mit dem Ackerbau schwierig. Böden mit geringer Mächtigkeit kann man zwar rekultivieren, aber meist nicht, ohne Bodenmaterial zuzuführen. Es braucht zusätzlichen Unterboden – und ein gutes und geeignetes Humusmanagement, das den Lebewesen im Boden wieder Futter zuführt.
Dann sind Bodenlebewesen das zentrale Element eines fruchtbaren Bodens?
Auf jeden Fall. Das ist allerdings ein komplexes Zusammenspiel und unterscheidet sich nach Standort und Bodenart. Klar ist, dass die Bodenorganismen ein Kernelement sind, da sie Kohlenstoff umwälzen, ihn abbauen und Nährstoffe freisetzen. Regenwürmer sind sehr wertvoll, da sie organisches Material und Boden fressen, miteinander vermengen, in Humus umwandeln und in die obere Bodenschicht einbringen. Je mehr organisches Material es gibt, desto aktiver das Bodenleben. Ein grosser Teil dieses Materials wird allerdings von ebendiesen Bodenlebewesen auch wieder «veratmet» und frei. Es ist also eine Gratwanderung: Einerseits wollen wir, dass der Kohlenstoff im Boden bleibt, andererseits eine funktionierende Biologie. Am häufigsten sind im Boden die Mikroorganismen, also Bakterien und Pilze. Unter diesen ist nur bei wenigen die genaue Funktion bekannt, und es lässt sich im Moment noch nicht klar sagen, ob gewisse «Zeigerarten» vorhanden sein müssen, damit wir einen Boden als fruchtbar bezeichnen können.
Welche Rolle spielen Pestizide?
Nach wie vor wissen wir wenig darüber, wie Pestizide auf Bodenorganismen wirken, da sie im Boden schwer messbar sind. Gewisse organische Strukturen und Pflanzenschutzmittel sind sich sehr ähnlich. Um sie zu messen, braucht es deshalb zuerst ein Verfahren, um sie aus dem Boden herauszuholen. Dafür muss wiederum klar sein, wonach gesucht wird. Agroscope hat erst vor einigen Jahren eine Analytik für Pestizide entwickelt und beobachtet die Situation nun im NABO. Bezüglich der Pestizide wird deshalb aktuell v.a. vom Grundwasserschutz her argumentiert, da es im Wasser weniger organische Substanz hat und Messungen einfacher sind. Doch wenn Pestizide im Wasser und für Insekten schädlich sind, kann man davon ausgehen, dass sie auch im Boden Schaden anrichten.
Worauf müssen Böden künftig vorbereitet sein?
Im Rahmen des Klimawandels soll es in der Schweiz im Sommer trockener werden. Anpassungen in der Anbaupraxis – wie regenerative Landwirtschaft, dauernde Bodenbedeckung und Agroforst – sind Wege, um die Resilienz der Böden gegenüber Trockenheit zu erhöhen. Wenn es wärmer wird, wird der Kohlenstoffgehalt zur Herausforderung, da die Bodenlebewesen aktiver werden. Um den Kohlenstoffgehalt zu halten, braucht es deshalb eine aktive Humusbewirtschaftung und eine gezielte «Fütterung» des Bodens mit Kohlenstoff. Auch das Wassermanagement wird ein Thema. Bewässerung wird in Trockenzeiten wichtig, und in Zeiten von viel und intensivem Niederschlag eine immerwährende Begrünung. Je nach Exposition, Lage und Verdichtungsgrad des Bodens steigt auch das Risiko für Erosion oder Überschwemmungen.
Könnte der Boden und seine Bewohner sprechen: Welche Art von Landwirtschaft würden sie sich wünschen?
Der Boden und seine Bewohner mögen eine immerwährende Begrünung und damit Durchwurzelung. Auch mögen sie es, wenn viel organisches Material zurückgeführt wird, sie nicht verdichtet sind und vor Schadstoffen geschützt werden – z. B. den PFAS. Dabei gibt es Unterschiede zwischen ackerbaulich genutzten Böden, Wiesen und Weiden. Bei denselben Standortbedingungen gilt der Grundsatz: Je intensiver der Boden genutzt wird, desto weniger Kohlenstoff hat es drin, sobald man das Erntegut abführt. Bringt der Bauer aktiv Nährstoffe ein, ist es zentral, dies zum richtigen Zeitpunkt zu tun. Wenn die Pflanzen die Nährstoffe nicht aufnehmen können, sie ausgewaschen werden oder Winter ist und die Bodenlebewesen (zu) wenig aktiv sind, bringt auch der beste Hofdünger nichts. Erwischt die Bäuerin aber den richtigen Moment, dann hat sie eine doppelt gute Wirkung: Humusaufbau hilft gegen den Klimawandel und verbessert die Bodenfruchtbarkeit.