«Wir sind stolz, bei den Ersten zu sein, die MuKa machen»

Barbara und Stefan Gerber führen einen Milchviehbetrieb in Trub (BE). Vor einem Jahr haben sie auf muttergebundene Kälberaufzucht umgestellt. Sie freuen sich täglich an dieser Haltungsform, und ihre Tiere haben an Lebensqualität gewonnen. Allerdings bringt das neue System auch Herausforderungen mit sich. Wir haben das herzliche und aufgestellte Paar besucht.

«Die Kühe schenken uns jeden Tag ihre Milch. Mit der MuKa können wir ihnen etwas zurückgeben.» Stefan und Barbara Gerber

Es ist September, ein herbstlich-bewölkter Vormittag. Mit dem Auto kurve ich den Hügel hinauf, an typischen Höfen des Emmentals vorbei, bis ich an einem Bauernhaus «Bach» angeschrieben sehe. Nebenan weiden Kühe der Rasse Swiss Fleckvieh, die Kälber stets in ihrer Nähe. Stefan und Barbara Gerber führen seit 2012 den Biohof «Bachgut». Sie leben hier mit ihren drei Kindern und zehn verschiedenen Tierarten. Ihr Haupteinkommen stammt aus der Milchviehhaltung, das zweite Standbein bildet der Agrotourismus. 

12-Stunden-Mütter 

Seit einem Jahr betreiben sie Mutter-Kalb-Haltung (MuKa). Auf die Frage, was sie zur Umstellung bewegt hat, antwortet Barbara, ohne zu zögern: «Das Herz». Das Trennen der Kälber von den Kühen war schwierig auszuhalten. Als sie selbst Mutter wurde, war es für Barbara noch beklemmender. Wir stehen auf der Weide und nähern uns einer Kuh, hinter ihr liegt ihr eingerolltes Kalb. Sie werden den ganzen Tag zusammen verbringen, bis die Kuh abends gemolken wird. Die Kälber kommen dann in eine separate Box. Über eine Aussparung in der Tür, die Kälberbox und Laufstall trennt, können die Mütter und ihre Jungen nachts in Kontakt bleiben. Am nächsten Morgen, nach dem Melken, dürfen sie wieder zusammen auf die Weide. Im Winter teilen sie den Auslauf. 

Natürlicherweise würde sich das Kalb nach 9–10 Monaten Von der Kuh entwöhnen und aufhören zu saugen. Gerbers geben die Kälber aber bereits mit sechs Monaten weiter, weil der Platz im Stall sonst zu knapp wäre. Also führen sie die Entwöhnung künstlich herbei: Während vier Monaten können die Kälbchen unbegrenzt saugen. Dann setzen sie ihnen einen sogenannten «Noseflap» in die Nase, ein schmerzlos befestigtes Plastikstück, welches das Trinken am Euter verunmöglicht. Dadurch nimmt der Kontakt zwischen Kuh und Kalb langsam ab, und die Jungtiere werden schrittweise selbstständiger. Die Mast-Jungtiere, Kreuzungen mit Limousin, werden an einen benachbarten Hof verkauft, der sie zu Weidebeef mästet. Die Aufzuchtkälber werden auf einem anderen Betrieb in Trub aufgezogen und kommen nach etwa zwei Jahren zurück zu Gerbers. 

Gesundheit und Zufriedenheit

Die Mutter-Kalb-Haltung wird oft mit Mutterkuhhaltung verwechselt, einem Haltungssystem aus der Fleischproduktion.

Vier Jahre zuvor hatten Stefan und Barbara bereits einen «MuKa-Selbstversuch» gestartet. Sie liessen die Kälbchen bei der Mutter trinken, bis sie mit 4–5 Wochen als Tränker verkauft wurden. «Das hat gar nicht funktioniert. Es war schlimm». Die Kühe zeigten grosse Verlusttrauer, da sie einen Bezug zu ihren Jungen aufgebaut hatten und plötzlich abrupt getrennt wurden. Viele Tiere litten an Euterentzündungen. «Damals kämpfte ich mit den Kälbchen um die Milch. Die Euter waren überstrapaziert», erzählt Stefan. Sie mussten den Versuch abbrechen. Heute sieht das anders aus. Entgegen den Vorurteilen gegenüber MuKa ist die Eutergesundheit gut, die Zellzahlen der Milch liegen sogar tiefer als im Vorjahr. Auch die Kälber sind gesünder und robuster. Damit sie möglichst wenig Medikamente einsetzen müssen, verwenden Gerbers Homöopathie. Ausserdem setzt Barbara ihr Wissen als Aromatherapeutin ein. Die Tiere wirken zufrieden, dies lässt sich unter anderem am Spielverhalten beobachten. «Einmal hat sich eine Kuh sogar hingekniet, um mit ihrem Kalb auf Augenhöhe zu spielen», erzählt Barbara lachend. Für sie und Stefan ist klar, dass sie mit MuKa weiterfahren werden: «Wir könnten nicht mehr zurück zum alten System, das würden wir nicht übers Herz bringen». 

Käserei in Sicht

Die Mutter-Kalb-Haltung auf dem Bachgut läuft (noch) nicht reibungslos. Das grösste Problem: Die Kälbchen trinken rund einen Drittel der Milch. «Da haben wir leer geschluckt. Wir hatten mit 10–15 % Ausfall gerechnet und waren überrascht, dass es so viel ausmacht», meint Stefan. Dieser Minderertrag ist aktuell nicht gedeckt, da Gerbers ihre Milch nach wie vor derselben Molkerei zum selben Milchpreis ausliefern. Doch Barbara und Stefan Gerber sind mutige und zuversichtliche Menschen. Viele der bisherigen Entscheidungen haben sie aus dem Bauch heraus gefällt, und am Schluss ist es aufgegangen. Nun ist auch für dieses Problem eine Lösung in Sicht. 

Das «Bachgut» wird ab 2024 zu den ersten Lieferanten der Cowpassion-Käserei in Vechigen gehören. Die Fr. 1.30 pro Liter Milch decken den Anteil «Kälbchenmilch». Der Preis wurde nicht anhand des Endprodukts berechnet, sondern anhand der Mehrkosten. Gerbers leisten ihren Beitrag zur Realisierung der Käserei und übernehmen die Organisation des Milchtransports. Ihnen ist bewusst, dass der Käse eine Nische bedient und hauptsächlich Konsumierende aus der Stadt erreicht. Daher werden sie Hofvisiten anbieten, um ein gesamtheitliches Verständnis von MuKa zu ermöglichen. 

Mich hat der Hofbesuch bereichert und ich bin mir sicher, dass Barbara und Stefan viele weitere Menschen für das «Bachgut» und die MuKa begeistern werden. Vielen Dank!

  • Dieser Artikel erschien in der Agricultura-Ausgabe 4/2023. Autorin: Bettina Stampfli

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