Zwei Länder, ein Engagement. Jean-Marie Minka II setzt sich sowohl in der Schweiz als auch in Kamerun für Nachhaltigkeit und Vielfalt ein. Ein Gespräch über seine Motivation, sich für die Kleinbauern-Vereinigung zu engagieren, sowie die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der kleinbäuerlichen Landwirtschaft in diesen zwei verschiedenen Erdteilen.
Jean-Marie, wie kam es zu deinem Engagement für die Kleinbauern-Vereinigung und was motiviert dich?
Nachhaltigkeit und Vielfalt sind wichtige Treiber in meinem Leben, daher muss es Fügung gewesen sein, dass ich mich nun bei der Kleinbauern-Vereinigung engagiere. Nein, Spass bei Seite: Ich hatte einen Nebenerwerbskurs erfolgreich abgeschlossen und habe erfahren müssen, wie schwierig es ist, einen eigenen Hof zu erwerben. Ich wollte jungen Menschen, die keinen Hof in der Familie übernehmen können, die Möglichkeit geben, ein eigenes Heim zu erwerben. Und ich wollte für Bäuerinnen und Bauern ohne Hofnachfolge eine Möglichkeit schaffen, dass es weitergehen kann. Mit diesem Anliegen bin ich damals auf die Präsidentin und die Geschäftsführerin der Kleinbauern-Vereinigung zugegangen. Daraus entstand meine langjährige Vorstandsmitarbeit und auch das Projekt «Anlaufstelle für Ausserfamiliäre Hofübergabe».
Du bist Mitinhaber eines kamerunischen Jungunternehmens im Solar- und Agrobusiness. Wo liegt der Fokus eurer Arbeit?
Auch hier geht es um ein gesellschaftliches Engagement für Nachhaltigkeit und Vielfalt. Ich will jungen unternehmerischen Frauen und Männern aufzeigen, dass es sogar im zentralafrikanischen Raum möglich ist, ein erfolgreiches soziales Unternehmen aufzubauen und zu führen. Erfolgreich heisst dabei sowohl wirtschaftlich, sozial und ökologisch. Wir sind sehr innovativ unterwegs und wollen als junge Afrikaner und Europäer zusammen zeigen, dass zum Beispiel eine antibiotikafreie Zweinutzungshühnerrasse erfolgreich gezüchtet und vermarktet werden kann. Auch im Solargeschäft suchen wir innovative Lösungen. So setzen wir zum Beispiel bei grösseren Kunden in Afrika Salzspeicher ein.
Was kennzeichnet den Landwirtschaftssektor in Kamerun?
Der Landwirtschaftssektor trägt in Kamerun, wie in vielen afrikanischen Ländern, vielleicht neben der Rohstoffgewinnung und Verzollung von Gütern den grössten Teil zum Bruttosozialprodukt bei. In Kamerun ist die Produktion mehrheitlich kleinbäuerlich organisiert. Der landwirtschaftliche Sektor kämpft jedoch mit der Landflucht der jungen Leute, die in den ruralen Gebieten oft keine Lebensperspektive sehen.
Vor welche Herausforderungen stehen Bäuerinnen und Bauern in Kamerun? Sind z.B. Klimawandel und Biodiversitätsverlust ein Thema?
Bäuerinnen und Bauern in Kamerun haben ähnliche Herausforderungen wie ihre Kolleginnen und Kollegen in der Schweiz, vielleicht einfach mit ein wenig anderen Vorzeichen. Es geht zuerst einmal darum, überhaupt mit den Einnahmen aus der landwirtschaftlichen Produktion leben zu können. Im Unterschied zur Schweiz geht es vielleicht noch etwas mehr um Souveränität und Selbstbestimmung. Es geht aber auch um lokale und regionale Kreisläufe, so dass die eigene Bevölkerung nachhaltig ernährt werden kann. Klimawandel und Biodiversität sind weniger ein Thema. Doch werden immer mehr auch Entwicklungsprojekte an Nachhaltigkeitsziele gekoppelt, was das Bewusstsein für diese Thematik sukzessive steigert.
Siehst du Parallelen zwischen den Kleinbäuerinnen hier und den Kleinbauern in Kamerun?
Ja, Kleinbäuerinnen und Kleinbauern haben auf der ganzen Welt besondere Herausforderungen, aber auch besondere Chancen. Sie haben in der Regel keine grosse Lobby in der Politik und werden nicht gefördert, obwohl ihre vielfältige Produktion einen grossen Beitrag zu einer resilienten Versorgungssicherheit leistet und längerfristig die Weltbevölkerung nur auf dieser Basis nachhaltig ernährt werden kann (siehe auch Welternährungsbericht). Sie haben Kinder, die keine wirkliche Lebensexistenz im Betrieb sehen, obwohl mit einem vielfältigen, kundennahen und innovativen Betriebskonzept eine ganz spannende und für die heutige Jugend sinnstiftende Lebensgestaltung möglich wäre. Kleinbäuerinnen und Kleinbauern erfahren vielfach auch grosse Sympathien und Wertschätzung in der Bevölkerung, was auch wiederum viele Chancen und Zusammenarbeitsformen ermöglicht.
Was machst du als Konsument richtig gut?
Ich mach nichts richtig gut. Ich bin ein Konsument wie viele anderen auch. Ich versuche, wenn immer möglich Bio-Lebensmittel zu kaufen und bin bereit, in Zukunft meinen Konsum noch viel nachhaltiger auszurichten.
Welche sind aus deiner Sicht die grössten Herausforderungen, die auf die Landwirtschaft in der Schweiz zukommen?
Die Landwirtschaft ist Teil der Gesellschaft und wird somit mit den Herausforderungen umgehen müssen, die wir alle haben: Ressourcen, Energie, Klima, zunehmende Komplexität, ein radikales Um- und Neudenken. Es wird auf jeden Fall nicht langweilig!
Wie siehst du dabei die Rolle der Konsumentinnen und Konsumenten?
Wir werden die Herausforderungen nur gemeinsam angehen können: Konsumenten, Produzentinnen, Handel, Politik, Wissenschaft. Es braucht die Intelligenz vieler oder aller, dezentrale vielfältige Lösungen und ein Denken in «sowohl-als-auch», weg vom «entweder-oder». Wir haben bei der Kleinbauern-Vereinigung die letzten Jahre gemeinsam mit vielen unterschiedlichen Partnern eine Vision entwickelt. Wir habe dabei spüren können, dass ein Denken über die nächsten 20 Jahre hinaus Brücken schlägt und uns zusammenrücken lässt. In diesem Sinne spielen wir, die alle auch Konsumentinnen sind, eine wesentliche Rolle bei diesem Veränderungsprozess.
Du bist nebst deinem Engagement in Kamerun in der Organisationsentwicklung tätig. Gibt es Erkenntnisse und Lehren aus dieser Tätigkeit, die du Betriebsleitenden weitergeben möchtest?
Ich begleite Unternehmen auf dem Weg zu einer agileren Organisation. Dies hier weiter auszuführen, würde den Rahmen leider sprengen. Einige Erkenntnisse aus der Wissenschaft und meiner langjährigen praktischen Erfahrungen für Betriebsleiterinnen und Betriebsleiter wären vielleicht folgende: Die industrielle Logik führt in einer zunehmend volatileren, unsichereren, komplexeren und mehrdeutigen Zukunft zu existentiellen Problemen. Betriebskonzepte, die dezentrale Entscheidungen und Partnerschaften fördern, auf Vielfalt und Resilienz und nicht auf Spezialisierung und Grössenskalen setzen und auch immer wieder Neues wagen, sind zukunftsfähiger. Es braucht also Mut einen anderen Weg zu gehen als das, was sie vermutlich in den Aus- und Weiterbildungen gelernt haben und auch Mut, einfach einmal etwas auszuprobieren.
Du hast je einen Wunsch für die Landwirtschaft in Kamerun und in der Schweiz frei. Welche sind das?
Ich habe nur einen Wunsch, sowohl für die Landwirtschaft in Kamerun, der Schweiz oder wo auch immer: Ich wünsche mir, dass wir es schaffen radikal umzudenken, um den folgenden Generationen die Möglichkeit zu geben, nachhaltig gesunde Lebensmittel zu produzieren.
Jean-Marie Minka II ist seit 2013 im Vorstand der Kleinbauern-Vereinigung aktiv. Er ist als Unternehmer in der Organisationsentwicklung engagiert und Mitinhaber eines kamerunischen Jungunternehmens im Solar- und Agrobusiness. Mit seiner Familie lebt er in Avry (FR). |
Dieses Interview erschien in der Agricultura-Ausgabe 2/2022. Autorin: Annemarie Raemy