Antibiotika: Zu viel des Guten…

Entdeckt durch einen Zufall traten Antibiotika einen wahren Siegeszug rund um den Globus an. Doch der übermässige Einsatz in Humanmedizin und Nutztierhaltung führt zu immer mehr resistenten Krankheitserregern. Obwohl in der Schweizer Landwirtschaft der Verbrauch von Antibiotika seit Jahren rückläufig ist, bleibt noch grosser Handlungsbedarf. Doch ist ein kompletter Verzicht die Lösung? Welche Landwirtschaft ist nötig, um den Antibiotikaeinsatz zu reduzieren?

Vor mehr als 80 Jahren geschah einem schottischen Wissenschaftler ein Missgeschick, ein Schimmelpilz geriet in eine seiner Bakterienkulturen. Doch was als Zufall begann, läutete ein neues Zeitalter der Medizin ein, denn der Pilz hemmte das Bakterienwachstum. Jahre später wurde daraus das erste Antibiotikum gewonnen: Penicillin. Damit begann der Siegeszug der Antibiotika, denn diese neuen Wundermittel nahmen bakteriellen Krankheiten wie Lungenentzündungen oder Blutvergiftungen ihren tödlichen Schrecken. Noch heute gehören sie zu den am häufigsten verschriebenen Medikamenten. Doch der Erfolg hat auch seine Kehrseiten. Mit antibiotisch wirkenden Mitteln kann beispielsweise die Darmflora stark gestört und langfristig negativ beeinflusst werden. Oder die Erreger entwickeln Resistenzen und die heilende Wirkung verpufft.

Angriff und Abwehr

Bakterien haben sich schon immer zu wehren gewusst, beispielsweise gegen das menschliche Immunsystem. Angriff und Verteidigung ist ein ständiger Wettstreit zwischen Bakterium und Körper und jede Bekämpfungsstrategie wird von einzelnen Bakterien überlebt. Die antibiotisch wirkenden Mittel brachten die Bakterien in Bedrängnis. Doch diese verändern sich, passen sich den neuen Gegenspielern an und werden resistent. Die Resistenzentwicklung wird durch einen übermässigen und falschen Einsatz von Antibiotika noch verstärkt. Denn bei jedem Kontakt lernen die Bakterien die Wirkstoffe besser kennen, passen sich an und können ihre Resistenzen weitergeben. Die Auswirkungen sind verheerend. Wirken die eingesetzten antibiotischen Medikamente nicht mehr, verlaufen Krankheiten, die vorher jahrzehntelang problemlos bekämpft werden konnten, wieder tödlich. Heute sterben weltweit jährlich rund 700’000 Menschen an einer Infektion mit resistenten Keimen, sämtliche Zukunftsprognosen gehen von steigenden Zahlen aus.

Wer ist schuld?

Die Schuld an der Resistenzbildung schieben sich Landwirte, Veterinäre und Humanmediziner gegenseitig in die Schuhe. In der Tat sind alle mitschuldig und auf der Anklagebank hat es sogar noch Platz für Patienten und Konsumentinnen. In der Humanmedizin wurden jahrelang massenweise Antibiotika bei Krankheiten verschrieben, gegen die sie wirkungslos sind. Denn Antibiotika bekämpfen sehr gezielt Bakterien, Pilzen oder Viren hingegen können sie nichts anhaben. Wird nun gegen Grippe Antibiotika geschluckt, beeinträchtigt dies den krankmachenden Virus nicht. Hingegen können natürlich im Körper vorhandene Bakterien den Wirkstoff kennenlernen und Abwehrmassnahmen entwickeln. Diese Verteidigung geben sie vielleicht an weniger harmlose Stämme weiter. Verursachen diese später eine Krankheit, sind sie schon immun gegen das Antibiotikum und die Auswahl an möglichen Arzneimitteln ist bereits stark eingeschränkt. Neben dem Arzt, der Antibiotika verschreibt, trägt auch der Patient eine Verantwortung. Die Einhaltung von Dosierung und Behandlungszeitraum erschwert die Resistenzbildung. Aber auch mit ihrem täglichen Verzehr von tierischen Lebensmitteln können die KonsumentInnen einen wichtigen Teil zur Reduktion des Antibiotikaeinsatzes leisten.

Antibiotika im Stall

In der Nutztierhaltung erfüllen Antibiotika zwei Aufgaben; einerseits als Medikament bei bakteriellen Krankheiten und andererseits als Leistungsförderer. Sie wirken bei Rindern, Schweinen und Geflügel auf die Verdauung und können das Wachstum beschleunigen. In der Schweiz ist dieser leistungssteigernde Einsatz seit 1999 verboten, in der EU seit 2006. Aber in amerikanischen und asiatischen Ländern werden die Tiere immer noch mit Antibiotika «gedopt». Dieses Fleisch landet auch in unseren Läden und Restaurants, versehen mit dem läppischen Hinweis: «Kann mit nichthormonellen Leistungsförderern, wie Antibiotika, erzeugt worden sein.». Immerhin brauchen die Landwirte in den USA seit diesem Jahr ein Rezept vom Tierarzt für ihr Medizinalfutter und ab 2017 ist es verboten, jene Antibiotika als Leistungsförderer einzusetzen, die für die Humanmedizin wichtig sind. Doch solange Antibiotika tonnenweise an gesunde Tiere verfüttert werden, sind diese Massnahmen nur ein Tropfen auf den heissen Stein.

Situation in der Schweiz

Obwohl die leistungsfördernde Nutzung in der Schweiz seit Langem verboten ist, stieg der Einsatz von Antibiotika in der Tiermedizin, bis im Jahr 2008 mit 72 Tonnen ein Höchststand erreicht wurde. Seither ist der Verbrauch rückläufig, heute werden jährlich etwas mehr als 50 Tonnen an Tiere verabreicht. Ein Teil wird zur Therapie von erkrankten Tieren genutzt, der grösste Teil der Antibiotika wird jedoch zur Vorbeugung oder Herdenbehandlung auf Mastbetrieben verwendet. Werden Kälber von verschiedenen Betrieben zusammen in einen Stall gebracht und gemästet, werden häufig vorbeugend (prophylaktisch) alle Tiere gegen Durchfall oder Husten behandelt. Das Immunsystem der Jungtiere kennt zwar die heimischen Keime, aber die Durchmischung und Konfrontation mit all den Erregern aus fremden Ställen kann rasch Krankheiten auslösen. Falls eine Krankheit tatsächlich auftritt, werden alle Tiere behandelt. Bei dieser sogenannten metaphylaktischen Behandlung erhalten auch die gesunden Tiere Antibiotika – sie könnten sich schliesslich angesteckt haben. Je grösser der Tierbestand, umso grösser die Behandlung von gesunden Tieren: Tritt beispielsweise in einem Maststall mit 2’000 Hühnern ein krankes Tier auf, werden alle behandelt. Obwohl das Huhn vielleicht nur zehn andere Tiere angesteckt hat und somit 1’990 gesunde Tiere unnötig behandelt wurden.

Komplett verbieten?

Nachdem nun Antibiotika als Leistungsförderer seit über 15 Jahren verboten sind, fordern einige eine radikale Änderung und verlangen ein totales Verbot von Antibiotika bei der Herstellung von Lebensmitteln und somit in der Tierhaltung. Vergessen geht dabei, dass mit dem pauschalen Verbot ein enormer Leidensdruck für Einzeltiere in Kauf genommen werden müsste. Bei einem Notfall, einer akuten Entzündung oder einer Verletzung würden die Behandlungsmöglichkeiten drastisch eingeschränkt und eine optimale Behandlung unmöglich. Ein Verbot reduziert somit die Resistenzbildung, hat aber schwerwiegende Folgen für das Tierwohl. So lehnen sogar die biologisch-dynamischen Bauern, die grossen Wert auf Komplementärmedizin legen, ein Totalverbot ab. Der Einsatz von Antibiotika in Notfällen und unter tierärztlicher Aufsicht bei einzelnen Tieren muss möglich bleiben.

Andere Ansätze

Ein komplettes Verbot von Antibiotika in der Landwirtschaft ist unrealistisch und nicht zielführend. Was gibt es für Alternativen? Der Bund formulierte eine nationale Strategie (StAR) mit 35 Massnahmen, die ein besseres Monitoring, mehr Forschung und bessere Prävention, beispielsweise durch Impfungen, fordern. Diese Massnahmen sind sicher sinnvoll und lobenswert, gehen in ihrem Ausmass jedoch zu wenig weit. Um Resistenzbildung wirksam zu bekämpfen, ist eine drastische Verringerung des Antibiotikaeinsatzes nötig. Dazu braucht es robuste Tiere aus standortangepasster Zucht. Denn diese sind weniger krankheitsanfällig als einseitig auf Höchstleistungen getrimmte Rassen, die all ihre Energie in möglichst schnelles Wachstum oder hohe Milchleistung stecken. Wird ausserdem auf Komplementärmedizin gesetzt und nur im Notfall und nicht bereits prophylaktisch Antibiotika verschrieben, sinkt das Risiko der Resistenzbildung weiter. Ein weiterer essentieller Faktor ist die Herdengrösse. Überschaubare Tierbestände sowie weniger Durchmischung von Tieren und Krankheitserregern verringern die Ansteckungsmöglichkeiten und reduzieren unnötige metaphylaktische Behandlungen. Das wirksamste Mittel, um den Antibiotikaeinsatz langfristig senken zu können, ist somit eine bäuerliche Landwirtschaft, welche auf robuste Tiere mit angepasster Leistung setzt.

  • Dieser Artikel erschien in der Ökologo-Ausgabe 4/2016

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